
Zurück ins Paradies - Jonas Weg Nachhause
Ein Roman
von
Werner Dück und IVOSUN
Anwaltlich hinterlegt bei RA Michael Augustin
Bavariafilmplatz 7/ Gbd. 49, 82031 Grünwald
Das ausschnittsweise oder gesamte Kopieren des Textes ist untersagt bzw. nur nach Rücksprache mit Werner Dück möglich.


Prolog:
Eine kurze Geschichte vom Ort der Liebe
Es war einmal lange vor unsrer Zeit oder dem, was wir dafür halten, an einem ganz besonderen Ort im Universum. Ein Ort, ganz ohne Zeit und ohne Raum. An diesem Ort ist einfach alles so, wie wir es uns nicht schöner wünschen könnten, ein Ort des absoluten Friedens und des Glücks. Der ganze Ort ist durchdrungen von unendlicher, bedingungsloser Liebe. An diesem besagten Ort trug sich eines Tages folgende Geschichte zu:
Über allem stand eine ganz besondere Energie, eine Wesenheit, die alle Gott nannten. Bei der gemeinsamen Abendmeditation sprach dieser Gott voller Hingabe zu den versammelten Seelen von dem wunderbaren Zusammenleben an diesem Ort. Gott sprach über die unendliche Liebe, die überall vorherrschte, die alles durchdrang, ja die in allem und jedem zu spüren war, bis sich plötzlich eine Seele erhob und Gott unterbrach:
"Du Gott", sprach die Seele, "du redest die ganze Zeit über die Liebe. Aber, …was ist das eigentlich? Ich habe keine Ahnung! Wie fühlt sich die Liebe an? Kann ich sie sehen? Kann ich die hören oder riechen? Ich weiß nicht, was du mit Liebe meinst, gib uns doch mal ein Beispiel."
Ein Raunen der Zustimmung ging durch die Menge, offensichtlich wussten auch die anderen Seelen nicht wirklich, was Gott mit Liebe meinte. Voller Eifer – denn noch nie hatte sich eine Seele getraut, solch eine Frage zu stellen – legte Gott los und erklärte und erklärte und …erklärte. Doch je mehr Gott versuchte, die Liebe zu beschreiben, umso größer wurden die Augen der versammelten Seelen und umso mehr Fragezeichen sah Gott über ihren Köpfen. Mit einem Mal wurde Gott bewusst, dass jemand, der sein ganzes Leben lang nur in Liebe und Harmonie aufgewachsen war, der nichts anderes je erlebt hatte, gar nicht wissen konnte, wie sich Liebe anfühlt, geschweige denn…was Liebe ist.
Mit Worten, das wurde Gott schnell klar, war das nicht zu erklären. So hielt Gott inne und dachte nach. Eine Idee musste her, wie könnte Gott den geliebten Seelenkindern die Liebe begreifbar machen? Irgendwie mussten sie die Liebe spürbar erleben, sie mussten sie sozusagen am eigenen Körper erfahren.
Und da, wie ein Urknall schoss es Gott durch den Kopf und mit jeder Sekunde erweiterte und sortierte sich diese Idee, bis schließlich die Erde mit all ihren Planeten und ihrem Sonnensystem drum herum geboren war. Zugleich wurde Gott jedoch bewusst, es würde ein schmerzhafter Prozess für die geliebten Seelenkinder. Sie würden die Liebe nämlich nur dadurch erfahren können, indem sie das Gegenteil erfahren sollten, also die Nichtliebe, die Abwesenheit von Liebe.
Oder wie man auf Erden dazu gerne sagt: die Hölle.
Gott war sich dessen eingedenk, wie viel Leid und Schmerz auf die geliebten Seelenkinder zukommen würde, und doch wusste Gott auch, die Erde mit all ihrer Materie und Dualität, mit ihren Emotionen, Ängsten, Irrungen und Wirrungen, mit ihren Zweifeln, Hoffnungen, Sehnsüchten und andrerseits mit ihrer paradiesischen und zugleich herausfordernden Natur, ihrer Schönheit, Freuden, Vergnügungen, Ablenkungen, mit ihrem Feuerwerk an rauschhaften, orgiastischen Erlebnissen und Sinneseindrücken, mit ihren tiefen obsessiven Erfahrungen war genau die Lösung, die das ermöglichte.
Gerne hätte Gott den geliebten Seelenkindern diese Erfahrung erspart, doch an der Aussichtslosigkeit der ersten Erklärungsversuche merkte Gott schnell, dass dies der einzig mögliche Weg war, wenn man Liebe, vor allem die bedingungslose, unendliche Liebe verstehen wollte. Und so schickte Gott schweren Herzens die geliebten Seelenkinder auf die Reise zur Erde. Zu einer ganz besonderen Abenteuerreise, wie Gott sie gerne nannte, um dem Ganzen einen Namen zu verleihen, der die Seelen darauf neugierig machen sollte.
Damit sie einen sanften Einstieg hatten, sozusagen als Vorbereitung, schuf Gott das Paradies. Der Ort, an dem es alles gibt, an dem alles einen Gedanken weit weg ist. Dieses Paradies sollte sich den geliebten Seelen zugleich so tief in ihr Unterbewusstsein einprägen, dass sie sich immer voller Sehnsucht daran zurückerinnerten. Diese Sehnsucht sollte ihnen über die tiefsten Tiefs ihrer Reise hinweghelfen und ihnen immer das Ziel ihrer Reise vor Augen halten. Nämlich die Liebe in all ihren Facetten zu erkunden und zu erleben. Warum? Damit sie eines Tages diesen Zustand des Friedens und der Liebe jederzeit und überall selbst kreieren konnten.
Und dann gibt es auch noch einen zweiten, zunächst fast wichtiger erscheinenden Grund für das Paradies: die Seelen sollen sich an ihren menschlichen Körper gewöhnen, sie sollen sich ihrer Körperlichkeit und damit Ihrer Trennung voneinander bewusst werden. Denn das Paradies ist materiell, alles existiert dort als feststoffliche Form, so dass die Seelen die Chance hatten, diese Unterschiedlichkeiten zu erkennen. Gott richtete es so ein, dass sobald sie all das erkannt und erfahren haben, sobald sie sich ihrer Trennung voneinander bewusst waren, sie automatisch ein bestimmtes Zeichen geben würden.
Dann wusste Gott, jetzt sind die Seelen bereit für ihre Reise auf die Erde.
Das ist die Erklärung, warum es diese Erde überhaupt gibt. Und weil natürlich auch jede Seele fortan die Liebe erfahren soll, muss jede Seele irgendwann einmal diese Reise antreten. Eine Reise, deren Ziel vorgegeben ist, aber deren Weg dorthin der Entscheidung einer jeden einzelnen Seele obliegt. Diese freie Wahl ist folglich das oberste Gesetz der Erde, was jedoch nur sehr schwer erkannt und lange Zeit nicht wirklich genutzt wird.
Was das Ganze ein wenig erschwert, sind zwei Dinge: erstens müssen die Seelen komplett vergessen, wer sie wirklich sind, sie müssen sich sozusagen komplett neu erfahren, komplett neu erschaffen und das bei jedem neuen Start. Das soll verhindern, dass alte Erfahrungen störend in neue Erlebnisse hineinwirken, zumindest nicht bewusst hineinwirken.
Und das zweite, die Reise kann mittendrin nicht abgebrochen werden, es gibt kein Ticket zurück, bevor man seine Lektionen dort nicht gelernt und verstanden hat. Denn keine Seele würde je wieder freiwillig zur Erde zurückkehren, um dort seine Lektionen zu vollenden. Aber diese Reise macht erst Sinn, wenn man seine Lektionen vollendet hat. Davor erscheint sie oft sehr sinnlos und das ist etwas, das in Gottes Denken überhaupt nicht vorkommt. Denn alles was Gott macht und tut, hat einen Sinn.
Aber seht selbst…
Die Überraschung
Vielleicht sollte ich mich kurz vorstellen: Mein Name ist Ivosun, zumindest würde man ihn so auf der Erde aussprechen und schreiben. In unserer Sprache ist es ein reiner Klangname, der weder geschrieben noch gesprochen wird. Unsere Sprache ist eher ein Singen oder besser gesagt ein Schwingen in unterschiedlichsten Frequenzen. Ich bin eines dieser Wesen ohne materiellen Körper, so wie ihr ihn kennt. Drum könnt ihr euch mich auch nur schwer vorstellen und ich kann mich euch so schlecht beschreiben. Manche sagen zu uns Lichtwesen, andere sagen Seele zu uns, wir sagen einfach nur 'Wesen'.
Ich stamme direkt aus der Familie des Erzengels Metatron ab, also aus der Familie der Lichtbringer. Und das ist auch meine Aufgabe, das Licht wieder auf die Erde zu den Menschen zu bringen. Aus diesem Grunde habe ich auch beschlossen, meine Geschichte selber zu erzählen, aus meiner subjektiven persönlichen Sicht. Denn ich bin überzeugt, dass es viele unter Euch geben wird, die ähnliche Zweifel und Fragen haben werden, wie ich sie seinerzeit hatte.
Ich bin überzeugt, dass es vielen helfen wird, wenn sie von meinen tiefen inneren Ängsten erfahren werden. Ich habe nämlich in vielen Gesprächen mit anderen Inkarnierten festgestellt, dass fast alle an den gleichen oder zumindest ähnlichen Problemen knabbern. Denn auch wenn jeder seinen eigenen Weg geht, die Erkenntnisse sind für alle gleich. Genauer gesagt geht es nur um eine einzige Erkenntnis, einen einzigen Grund, warum wir diese Reise antreten.
Genau aus diesem Grund habe ich – wie viele andere mit mir auch – die Reise zur Erde angetreten. Ich habe einst zu dieser Reise ja gesagt und bin nun endlich kurz vor der Vollendung. Doch bevor ich mich komplett verabschiede, darf ich euch noch von meiner Reise mit ihren Aufs und Abs berichten. Das ist eine meiner letzten Aufgaben hier auf der Erde. Eines darf ich dabei gleich vorwegnehmen, damit ihr Euch besser fühlt, denn auch mich hat das seinerzeit sehr gegrämt, dass ich erst so spät hinter den Sinn dieser Reise gekommen bin. Lange habe ich mit mir, der Welt und vor allem Gott gehadert, bis mir der Sinn klar wurde und ich endlich verstand:
Das Paradies ist kein Ort, sondern ein Zustand!
Immer wieder hörte ich die Frage: Wer bin ich? …Wer sind wir?
Sind wir Menschen, die hier auf Erden eine spirituelle Erfahrung machen?
Sind wir spirituelle Wesen, die hier eine Erfahrung als Menschen machen?
Oder sind wir einfach nur Menschen, die möglichst viel Reichtum, Autos, Häuser, Schmuck und sonstige materielle Dinge ansammeln sollen?
Wie gesagt lange habe ich gebraucht, bis ich die Fragen beantworten konnte. Denn ich war lange Zeit der letzten Antwort verfallen und hetzte diesen Zielen sehr intensiv hinterher. Und doch war mir immer tief innen drin bewusst, dass dies nicht der wirkliche Sinn sein konnte. Aber solange man keine bessere Idee hat, solange einem niemand ein lohnenswerteres Ziel aufzeigt, scheint das die einzig logische Alternative im Leben auf Erden zu sein. Das Problem auf Erden ist, kaum jemand weiß Bescheid, alle scheinen hier im Dunkeln zu tappen, denn – wie schon angedeutet – eines der Besonderheiten ist: Wenn wir hier auf der Erde inkarnieren wollen, müssen wir vergessen, wer wir tatsächlich sind.
Wir werden hier auf die Erde gesetzt, ohne irgendein Wissen und dürfen quasi bei null anfangen. Im Nachhinein betrachtet ist es jedoch tatsächlich die beste Möglichkeit, um erfahren zu können, worum es geht. Aber zwischendurch, gebe ich offen zu, habe ich oft sehr mit mir gerungen und Gott im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt.
Oft fühlte ich mich zutiefst allein, doch auch hier wieder im Nachhinein betrachtet merke ich, ich war es nie! Gott und Gottes unzählige Helfer wachten und wachen noch immer ständig über mich, auch wenn ich so manchen grausamen Tod starb, eine Menge erniedrigende Erlebnisse hatte und viele Dinge tat, für die ich mich nach weltlichem Ermessen bis ins Unendliche schämen sollte. Aber all das war ein Teil der Abenteuerreise, zu der ich irgendwann einmal ja sagte.
Gut, dass ich davor nicht wusste, worauf ich mich einließ und wiederum gut, dass ich mich darauf einließ, denn sonst wüsste ich nicht das, was ich jetzt weiß. Und ich kann euch aus tiefstem Herzen versichern, es gibt nichts schöneres, als das zu erfahren.
Ich weiß, Ihr wollt nun endlich erfahren, worum es genau geht. Deshalb gehen wir zurück zu meinem entscheidenden Leben auf der Erde, das mich in die Erkenntnis führte. Vielleicht kennt Ihr mich noch aus meiner Jugend, mein Name in diesem Leben lautet Jona: Damals im Alter von 12 Jahren, hatte ich ein Problem mit meinen Eltern und der Welt im ganz allgemein. Ich fragte mich seinerzeit, warum so viel Chaos auf dieser Welt herrscht und warum Gott das nicht in Ordnung bringt. Zu meiner großen Überraschung meldete sich Gott damals höchstpersönlich und erklärte mir, dass alles so in bester Ordnung sei und es genau so sein solle.
Wir hatten lange Gespräche darüber, ich wollte oft nicht einsehen oder verstehen, was gut an dem ist, so wie es ist. Aber Gott war sehr geduldig und erklärte mir zigmal, warum es eine freie Wahl geben muss, warum alles immer aus einem bestimmten Grunde passiert und es dabei immer zu meinem Besten ist. Gott erklärte mir auch, worauf ich hier auf Erden bei meiner Erkundungsreise vertrauen darf, kurz gesagt: Gott erklärte mir die wichtigen Grundregeln des Lebens.
Nun, alles hatte ich damals mit meinen 12 Jahren noch nicht verstanden, aber zumindest hatte ich verstanden, dass ich, so wie jeder andere übrigens auch, jederzeit und an jedem Ort mit Gott reden konnte und immer Antworten erhielt. Ich musste nur fragen und dann offen für die Antworten sein, denn Gott antwortete nicht immer direkt.
Oft waren es stellvertretend Menschen, die an seiner Stelle antworteten, oder Dinge, die ich irgendwo sah, hörte oder die ich irgendwo las. Alles konnte die gewünschte Antwort enthalten. Gott sprach durch alles und jeden zu mir, es konnte eine Werbung sein, die den entscheidenden Satz beinhaltete, oder irgendwelche Albernheiten wie z.B. ein dummer Witz. Gott liebt diese verschlüsselten, scheinbar als dummer Gag getarnten Nachrichten. Zumindest tat er das gerne bei mir, vielleicht weil das aber auch meine Art als Jona war, mich auszudrücken.
Witzigerweise und hier darf ich bereits etwas vorwegnehmen, vergaß ich dann im Laufe meiner späteren Jugend fast alles wieder davon und lebte ein Leben wie Millionen andere auch. Immer auf der Suche nach etwas Anerkennung, nach Freunden, nach Liebe und Wärme, nach tollen Kicks und vor allem nach einer möglichst sicheren Möglichkeit, mir genau dieses Leben auf der materiellen Erde zu ermöglichen, sprich ich suchte nach einer sprudelnden, möglichst nie versiegenden Geldquelle, also einem sicheren Job. Wie alle anderen Menschen auf dieser Erde eben auch!
Ich war gut darin, denn zunächst erschien mein Leben wie ein Leben auf der Überholspur. Ich vermute, Ihr habt so etwas ähnliches auch schon mal erlebt, oder zumindest davon gehört oder gelesen. Alles in meinem Leben, also Jonas Leben, lief so richtig perfekt. Alles war so, wie ich es mir als Jona gewünscht hatte. Alles war quasi wie im Paradies…. Und dann von einer Sekunde auf die andere war alles ganz anders. Alles brach in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Und ich merkte, dass das, was ich bislang als mein Paradies ansah, in Wirklichkeit nur ein scheinbares Paradies war. Ein Ego-Paradies – wie ich es heute gerne nenne –, das sofort in sich zusammen bricht, selbst wenn nur eine winzige Kleinigkeit von außen verändert wird. Folglich war es logisch, dass es irgendwann hieß:
Good Bye, mein geliebtes Ego-Paradies!
Und damit sind wir bei meiner Geschichte, die sich in meinem 29. Lebensjahr zutrug. Wie schon gesagt, ich als Jona war damals an einem Punkt in meinem Leben angelangt, um den mich fast jeder meiner Freunde beneidete. Als Jona war ich sehr erfolgreich in meinem Beruf, ich stand kurz vor der Ernennung zum Leiter einer Abteilung mit über 300 Mitarbeitern. Ich wäre damit übrigens jüngster Abteilungsleiter meiner Firma geworden. Auch privat wähnte ich mich im Paradies. Denn als ich vor zwei Jahren meinen neuen Job in der Firma antrat, lernte ich dort die Frau meines Herzens kennen. Kurz vor meinem 29. Geburtstag machte ich ihr einen Heiratsantrag und 5 Monate später sollte die Hochzeit folgen.
Ich war so versessen, alles perfekt zu planen, dass ich gar nicht bemerkte, was um mich herum vorging. Eines Abends saß ich am Esstisch und plante die Hochzeitsreise. Ich recherchierte dazu am Computer nach dem geeigneten Hotel. Über zwei Stunden quälte ich mich durch die diversesten Buchungsportale und verglich und wägte ab. Endlich hatte ich zwei perfekt passende Hotels gefunden. Das wollte ich meiner Liebsten gleich mitteilen und rief nach ihr. Sie lag auf dem Sofa hinter mir im Wohnbereich unseres Appartements – es war eine loftartige Wohnung mit einem großen Wohn-, Ess- und Schlafbereich. Sie schaute fern und wie so häufig hatte sie dabei ihre Kopfhörer auf, um mich nicht zu stören. Ich war das schon gewohnt und wusste, ich musste laut rufen.
"Schatz?... Schaaatz??... Schatziii!? Haaallloo!!!..."
Diesmal erhielt ich jedoch keine Antwort, so dass ich vermutete, sie sei eingeschlafen. Also ging ich zu ihr und rüttelte sie vorsichtig am Fuß. Sie hatte das Kissen über ihr Gesicht gezogen, so dass ich nicht erkennen konnte, ob sie wach war, und als ich ihr vorsichtig das Kissen abnahm, bemerkte ich, dass sie weinte.
"Was ist denn los, warum weinst du?"
"Jona, .. es tut mir leid."
"Leid? Was tut dir leid?"
"… Ich kann dich nicht heiraten."
"Was, wie, du kannst mich nicht heiraten?", ich fiel aus allen Wolken. "Was soll das denn heißen?"
"Ich kann dich nicht heiraten, ich habe einen anderen kennengelernt und er ist meine große Liebe. Ich habe so etwas noch nie erlebt, es ist ganz anders als mit dir. Bitte verstehe mich richtig, ich liebe dich auch, … aber …anders. Bitte sei mir nicht böse, aber es geht einfach nicht." Sie griff nach dem Kissen, legte es sich wieder aufs Gesicht und drehte sich weg von mir.
Ich war damals so schockiert, so baff, dass ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. Ich wusste nur, ich musste hier raus. Also ging ich ins Schlafzimmer und packte ein paar Sachen zusammen. In der Garderobe sah ich meinen Rucksack noch, den ich immer fertig zum Bergsteigen gepackt hatte. Warum auch immer, ich schmiss ihn schnell über die Schulter und ging wortlos zu meinem Auto. Dort verstaute ich alles im Kofferraum und fuhr in ein nahegelegenes Hotel, in dem ich oft Geschäftspartner unserer Firma unterbrachte. Ich gab dem Concierge noch einen Weckauftrag für 7.00 Uhr morgens, dann ging ich zu Bett.
Es war eine lange, sehr unruhige Nacht, ich konnte kaum schlafen, alles Mögliche schoss mir durch den Kopf: warum hat sie mich verlassen, warum habe ich nichts bemerkt, war ich nicht gut genug für sie, wie konnte ich mich nur auf sie einlassen, gab es Anzeichen, die ich übersehen hatte, und vieles mehr. Dummes unnützes Zeug, denn an der Situation konnte ich damit nichts ändern.
Aber es sollte noch dicker kommen, denn eine weitere scheinbare Regel des Lebens besagt, ein Unglück, oder sollte ich besser sagen, ein Glück kommt selten allein. Schon am nächsten Morgen am Frühstückstisch im Hotel ereilte mich nämlich die nächste Hiobsbotschaft: mein Handy brummte und zeigt mir den Empfang einer Nachricht an. Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich folgendes las:
"Die Firmenleitung lässt Ihnen ausrichten, dass Sie mit sofortiger Wirkung freigestellt sind. Ihr Gehalt mit vollen Bezügen läuft noch ein halbes Jahr weiter. Bitte kommen Sie nicht mehr in die Firma, Ihre persönlichen Dinge werden Ihnen von einem Kurier gebracht..."
Im weiteren Text stand dann noch, die Untersuchung einer externen Unternehmensberatung habe ergeben, dass es sinnvoller sei, meine Abteilung mit einer anderen zu fusionieren und da dort der Abteilungsleiter seit zwei Jahren bereits sehr erfolgreich arbeite, habe man sich für ihn als neuen Gesamtabteilungsleiter entschieden. Sie würden es sehr bedauern … Blablabla.
Ich stand damals komplett unter Schock, so hatte sich mein persönliches Paradies innerhalb von knapp 12 Stunden in einen Albtraum verwandelt. Alles war mit einem Schlag weg. Was sollte ich tun? Mir fiel mein Rucksack im Auto wieder ein, nun wusste ich, warum ich ihn eingepackt hatte und ich beschloss, erst einmal in die Berge zu fahren. Ich hatte da einen Lieblingsort, einen Platz weit oben am Berg mit einem außergewöhnlichen Panorama, wo es mich immer hinzog, wenn ich nachdenken musste.
Einladung zu einer Reise
Ich blickte stundenlang hinab ins Tal auf den See. Tausend Gedanken schossen mir wie schon in der Nacht zuvor wieder durch den Kopf. Tausend Fragen malträtierten mich seit Stunden. Warum musste mir das passieren, was hatte ich getan? Warum musste ich all das verlieren, was ich mir so mühsam aufgebaut hatte? Ich legte mich zurück ins Gras, um mir die Wolken anzusehen, und schlummerte dabei langsam weg. Mir war, als hätte ich gerade erst die Augen geschlossen, als ich schon von weitem eine sehr vertraute, aber lange nicht mehr gehörte Stimme vernahm.
"Jonaaaa!!! …Jooonnaaaa!!! Weißt du noch, wer ich bin? Weißt du noch, dass du mich alles fragen kannst? Du musst es nur tun!"
Ich war mit einem Schlag hellwach. Konnte es tatsächlich sein, dass er mich gerufen hatte? Ich wusste natürlich genau, wer da rief, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Kann das sein, dachte ich mir, ist es tatsächlich Gott? Wie lange hatte ich mit Gott schon nicht mehr gesprochen? Das musste ja eine Ewigkeit her sein – ich schämte mich – und so stammelte ich sehr verlegen folgende Worte:
"Entschuldige bitte, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe…, aber ich…"
"Du wusstest nicht, was du mich fragen solltest, richtig?", entgegnete mir Gott mit der mir wohlbekannten, immer verzeihenden und zugleich verstehenden Stimme. Ja, die hatte ich doch tatsächlich vermisst, bemerkte ich, als ich diese sanfte Stimme hörte. Sie gab einem immer das Gefühl, egal was man machte, tat oder sagte, es war immer okay. Nie ein Ton des Vorwurfs.
"…Ja genau!", antwortete ich auf seine Frage, "… ich wusste nicht…".
"Das ist völlig in Ordnung", unterbrach Gott mein verlegenes Gestammel, "außerdem, was für dich ein paar Jahre sind, sind für mich ein paar Tage, Stunden oder Sekunden. Es ist für mich, als hätten wir gerade eben erst noch gesprochen."
"Echt? Das ist gut zu hören." Wie ich schon sagte, Gott antwortet immer so, als habe er für alles Verständnis. Nie ein Ton des Vorwurfs. Irgendwie ganz anders, als man es üblicherweise gesagt oder gelehrt bekam.
"Kannst du dich noch an meinen Lieblingssatz von unserem letzten Gespräch erinnern?", griff Gott den Faden wieder auf
"Mhmm… Keine Ahnung!", stutze ich.
"Alles passiert immer aus einem bestimmten Grund und immer zu deinem Besten!"
"Ach ja der. Stimmt, damit hast du mich ständig genervt." Gott hatte mich tatsächlich damit genervt und es hatte lange gedauert, bis ich diesen Satz akzeptieren konnte. Und ehrlich gesagt, auf meine derzeitige Situation bezogen, konnte ich diesen Satz wiederum nicht ganz nachvollziehen. Was sollte denn für mich gut daran sein, dass ich alles verloren...?"
"Dieser Satz ist heute noch genauso gültig wie vor 17 Jahren, wie vor 1000 Jahren oder in hundert Jahren", funkte Gott mit barschem Ton dazwischen, bevor ich mich noch tiefer in mein Selbstmitleid hineinsteigern konnte. "Dieser Satz ist eines der unumstößlichen Grundgesetze des Lebens auf Erden, auf die du zu 100 Prozent immer vertrauen darfst. Auch wenn du manchmal den Vorteil nicht sofort siehst."
"Dann sag mir doch bitte, was gut daran ist, dass ich meine Lebenspartnerin und meinen Job verloren habe? Und das alles innerhalb eines Tages", platzte es voller Groll aus mir heraus.
"Erinnere dich bitte, von mir erhältst du Antworten zum Leben, worauf du vertrauen kannst, was möglich ist, aber ich beantworte keine persönlichen Fragen, das würde deine freie Wahl beeinflussen", versuchte Gott mich zu beruhigen.
"OKAYYY!!??", ich wollte mich nicht beruhigen lassen mit dem Gequatsche über freie Wahl. Das hatte mich damals schon mit 12 Jahren auf die Palme gebracht, denn ich verstand nie wirklich den Sinn dahinter.
"Sei nicht beleidigt, es würde keinen Sinn machen, wenn ich alles beantworte und regle. Dann bräuchten wir keine Erde. Aber ich gebe dir nun eine Aufgabe. Meditiere doch einfach mal über die Frage, wer du bist. Ich meine damit nicht, was du tust und wie du heißt, sondern wer du in deinem tiefsten Inneren bist. Du erinnerst dich vielleicht noch von früher?"
"Oh ja bestens… hahah. Das ist 17 Jahre her." Ich hatte keine Ahnung, was er mit dieser Meditation bezweckte. Wie sollte sie mir eine Antwort auf meine Frage geben? Ich sollte wohl eher fragen, warum mir das passiert ist, und nicht dieses blöde Esogequatsche: 'Wer bin ich?'
"Stelle dir die Frage 'Wer bin ich' immer und immer wieder", fuhr Gott, der natürlich meine Gedanken und damit meine Ablehnung wahrgenommen hatte, sanft, aber beharrlich fort: "Irgendwann erhältst du Antworten, du musst nur zuhören können. Wenn du dann eine Antwort gefunden hast, reden wir weiter."
"Und was soll das bringen?", moserte ich unwillig herum.
"Tu es einfach, dann wirst du verstehen, was es dir bringt."
Ja, ich erinnerte mich bestens, mit Gott über den Sinn solcher Aufgaben zu diskutieren, das würde tatsächlich nichts bringen. Fairerweise sollte ich aber auch mit meinem heutigen Wissen eingestehen, dass ich Gott rechtgeben muss. Denn es bedarf des kompletten Überblicks, um den Sinn hinter den Dingen zu verstehen. Gott tut nie etwas Sinnloses oder etwas ohne triftigen Grund. Gerade aus dem Grund der Unsinnigkeit – denkt dabei bitte an die erfolglosen Erklärungsversuche zum Thema Liebe – macht das Erklären meist wenig Sinn. Dieser erschließt sich in aller Regel erst durch das Tun selbst.
Also setzte ich mich damals brav hin und fing an zu meditieren. Immer wieder und wieder stellte ich mir die Frage: 'Wer bin ich? …Wer bin ich? ...Wer bin ich? ...' Gott hatte mir eindringlich gesagt, ich solle nur diese eine Frage fortlaufend aber mit Pausen dazwischen wiederholen. Ich solle mir Zeit lassen und geduldig warten, bis die Antworten kommen
Und tatsächlich, es brauchte eine Weile, bis ich ruhig genug war, um Antworten wahrzunehmen, aber irgendwann bekam ich sie. Ich war überrascht, welche Antworten kamen. Diese wollte ich Gott am liebsten gleich allesamt mitteilen, doch bemerkte ich, dass langsam die Sonne unterging. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit bei der Meditation verstrich. Auch mein Po schmerzte ein wenig vom langen Sitzen. Deshalb wollte ich mich erst einmal um ein Bett für die Nacht kümmern. Ich kannte eine wunderschöne Alm ganz in der Nähe, die auch glücklicherweise noch einen Schlafplatz frei hatte.
Nach einem wunderbar herzhaften Abendmahl ging ich nochmal kurz nach draußen. Gierig sog ich die frische Nachtluft in meine Lungen. Diese wunderbare Luft fühlte sich wie ein unendlicher Energiestrom an, voller Sauerstoff, voller Leben. Und zugleich so beruhigend, so besänftigend, es machte mir meine Situation fast vergessen. Ich fühlte mich mit allem, der gesamten Natur um mich herum so sehr verbunden, dass ich fast das Gefühl hatte, im Paradies zu sein.
Es war eine sternenklare Nacht und wir hatten fast Neumond, der Mond war nur noch eine ganz schmale Sichel. Und doch war der Himmel hell erleuchtet, tausende von Sternen funkelten mir entgegen. Heute weiß, ich es war meine Seelenfamilie, sie alle standen mir bei und sendeten mir Licht. Von wegen man wäre allein! Wie ich eingangs schon sagte, es mag einem in der menschlichen Form oft so vorkommen, aber in Wirklichkeit ist man immer umgeben von seiner Familie. Man ist niemals allein!
Und auch wer es nicht wahrnimmt – ich zumindest spürte zu diesem Zeitpunkt nicht das Geringste –, ich war fasziniert von dem Anblick dieser abertausend strahlenden Sterne am Himmel. Ein Anblick, der einem bewusst macht, wie schön diese Erde doch ist, welche wunderbaren Geschenke sie bereit hält, wenn man nur hinsieht. Ich nahm noch zwei, drei Atemzüge, dann ging ich mit einem seltsam anmutenden Gefühl innerer Ruhe zu Bett, ganz anders als am Tag zuvor.
Kurz später, ich glaubte, gerade erst eingeschlafen zu sein, weckte Gott mich auf und fragte ganz aufgeregt: "Na, hab ich es dir nicht gesagt, es kommen Antworten über Antworten. Was hast du gehört?"
"Ich dachte, du kannst meine Gedanken lesen?", erwiderte ich mit einem zarten Hauch der Provokation in meiner Stimme.
"Du hast natürlich recht, ich kann all deine Gedanken lesen oder hören, wie auch immer. Und ich weiß auch all die Antworten, die du bekommen hast. Ich hätte sie gerne aus deinem Munde gehört. Aber egal, ich will dir nun einen Vorschlag machen."
"Vorschlag?" Ich wusste, Gottes Vorschläge waren immer mit Anstrengung verbunden. Ich wusste genau, auf Gottes Vorschlag einzugehen, würde bedeuten, ich hätte alle Hände voll zu tun. Und das, wo ich doch gerade viel lieber in meinem Selbstmitleid versinken wollte. Deshalb zögerte ich damals, freudestrahlend auf Gottes Vorschlag einzugehen. Aber Gott lässt niemals locker.
"Du weißt doch, ist der Schüler bereit, erscheint der Lehrer, drum schlage ich dir eine Reise vor", riss mich Gott aus meinen trübsinnigen Gedanken. "Ich will dich auf eine Reise mitnehmen."
"Eine Reise? Wohin?" Ich hatte also doch richtig vermutet: Vollbeschäftigung! Ich versuchte, mich irgendwie herauszuwinden und erwiderte voller Trotz: "Und überhaupt, du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet."
"Welche, du hast so viele!?"
"Hast du mir das mit meiner Freundin und dem Job eingebrockt?"
"Eingebrockt?" Gott sah mir dabei tief in die Augen. "Du armes, armes Opfer, ich sehe, wir müssen einiges wiederholen. Erinnere dich bitte, ihr alle, also alle Menschen, habt von mir die freie Wahl erhalten. Jede Entscheidung, die ihr trefft, jeden Weg, den ihr einschlagt, dafür seid ihr selbst verantwortlich. Es mag oft nicht euer freier Wille sein, aber es ist eine Entscheidung, die aus euch heraus kommt. Ich habe damit nichts zu tun. Alles was passiert, dafür habt ihr selbst irgendwann die Ursache gesetzt. Folglich seid ihr für alles auch selbst verantwortlich. Behalte das bitte im Hinterkopf, wir werden das auf unserer Reise noch ausführlich besprechen, sofern du möchtest."
"Ach ja, der freie Wille!" Wieder einmal sträubte sich alles in mir gegen diesen freien Willen, der ja im Grunde keiner war und so entgegnete ich damals resigniert: "Okay, okay, ich hab ja doch keine andere Wahl. Wohin geht denn nun die Reise?"
Heute bin ich so froh, dass ich diese Reise antrat, denn sie löste alle meine Fragen in ein quasi Nichts auf. Aber im ersten Moment – das ist eine typische menschliche Reaktion – machte sie mir Angst.
Gott wusste das und versuchte mich zu beruhigen: "Du hast immer die Wahl, nein zu sagen, aber früher oder später wirst du diesen oder einen ähnlichen Weg gehen, warum also nicht gleich. Die Reise übrigens geht zu einem Ort, nach dem du große Sehnsucht hast, nach dem alle Menschen große Sehnsucht haben."
"Was soll das für ein Ort sein?", fragte ich verwundert.
"Überleg doch einfach mal, was ist der schönste Ort, an dem du nun sein möchtest?"
"Der schönste Ort? … Keine Ahnung… Hawaii?"
"Ja das ist ein sehr schöner Ort, der ist mir außerordentlich gut gelungen, aber den meine ich nicht."
"Welchen dann?"
"Ich meine das Paradies!" Gott platzte fast, als wollte er mir sagen: wie kann man das nicht wissen?!
"Das Paradies?" Daran hatte ich wirklich nicht gedacht, "wo soll das denn liegen?", antwortete ich flapsig.
"… direkt vor deiner Nase, Dumpfbacke, du erkennst es nur nicht. Dazu brauchst du noch ein paar Lektionen."
"Und du Besserwisser meinst, jeder hat danach Sehnsucht?", schoss ich frech zurück.
"Na logisch, das hab ich doch so eingefädelt, das ist nämlich ein Punkt, den ihr nicht bestimmen könnt, das Endziel ist von mir vorgegeben. Komm mal mit, wir machen eine kleine Befragung und hör einfach zu." Mit diesen Worten brachte mich Gott an einen Ort mit vielen Menschen und wie ein Reporter fing Gott an, den anwesenden Leuten Fragen zu stellen:
'Hast du Sehnsucht nach dem Paradies?' und 'Kommen wir aus dem Paradies?', lauteten die beiden Fragen, die Gott abwechselnd stellte und es war faszinierend, was und vor allem wie die Menschen antworteten, wenn sie so direkt danach gefragt wurden. Viele schienen erstmal überrascht von der Frage, aber nach einem kurzen Moment des Zögerns sprudelte es aus den meisten heraus, als hätte man einen Knopf gedrückt. So als hätte endlich jemand eine Frage gestellt, auf die sie schon lange antworten wollten, aber nicht durften. Hier habe ich eine kleine Auswahl der Antworten für Euch:
"Ja logisch habe ich Sehnsucht nach dem Paradies, was gibt es schöneres, als endlich mal all den Mist hinter sich zu lassen."
"Ich bin sicher, wir kommen aus dem Paradies, weil im Urlaub suche ich immer danach."
"Ich hatte erst gestern Nacht den Traum, im Paradies zu sein. Ich wünschte, ich wäre nie aufgewacht."
"Manchmal, wenn ich am Meer bin, habe ich so eine Art Déjà-vu. So als wäre ich hier schon mal gewesen, aber alles wirkte damals so sorgenfrei so leicht. Ganz eigenartig."
"Logisch kommen wir aus dem Paradies! Hast du 'nen Plan, wie wir da zurückkommen? Ich möchte dahin zurück." Ich sah das Lächeln auf Gottes Antlitz. Logisch, Gott kannte ja den Weg.
Es waren auch ein paar kritische Antworten dabei wie z.B.: "Das Paradies ist für mich ein Reizwort, weil es heute so oft missbraucht wird. Jeder Urlaubskatalog ist voll mit Orten, die einem das Paradies versprechen. Aber ich glaube nicht, dass eines davon tatsächlich das Paradies ist, aus dem wir kommen oder wo wir vielleicht hinwollen. Für mich ist das Paradies noch viel schöner… freier… leuchtender…"
"Steht nicht in der Bibel, wir wurden daraus vertrieben? Vielleicht haben wir deshalb so eine tiefe Sehnsucht danach."
Und es gab auch ängstliche Antworten in dieser Art: "Das Paradies macht mir Angst, wir wurden ja schon mal rausgeworfen. Das muss ich nicht mehr haben."
"Immer wieder versprechen alle möglichen Leute, mir den Weg ins Paradies zu zeigen, aber nur wenn ich den oder jenen Kurs bei ihnen buche. Am Ende landest du irgendwo im Nirgendwo aber niemals im versprochenen Paradies."
Ein paar Antworten haben mir besonders gut gefallen: "Ich habe oft Sehnsucht danach, dann mache ich mir eine Tasse Tee, setze mich hin und träume davon. …das sind immer die schönsten Momente."
"Allein wenn ich das Wort 'Paradies' schon höre, laufen in mir die irrsten Bilder ab. Ja doch, ich glaube schon, wir kommen daher und wahrscheinlich ist deshalb auch die Sehnsucht danach so groß."
Ich war erstaunt, dass viele so klar antworteten. Gut es gab auch ein paar, die sich darüber lustig machten, so nach dem Motto:
"Schick mir doch 'ne Ansichtskarte, wenn du da bist".
Oder, "ja das Paradies kenne ich, das ist der Puff gleich bei mir um die Ecke."
Manche antworteten auch sehr frustriert und man merkte ihnen die Enttäuschungen an, die zu solchen Meinungen geführt hatten:
"Hör mir auf mit diesem Mist, siehst du hier irgendwo ein Paradies?"
"Nur Lug und Betrug!"
"Träum weiter, so was wie ein Paradies gibt es doch gar nicht und Gott ist auch nur 'ne Lüge."
Aber die meisten antworteten mit einem tiefen und klaren Ernst, den ich nur ganz selten bei Menschen erfahren habe. Ich ließ die Antworten eine Weile in mir sacken, bis ich zu sprechen anfing:
"Die Sehnsucht scheint wirklich tief in uns verankert zu sein und auch wenn sich manche dagegen aussprachen, hatte ich doch das Gefühl, dass sie sich in ihrem tiefsten Inneren nichts sehnlichster wünschten. In jedem Fall hast du recht, die Sehnsucht ist ganz stark zu spüren."
"Das muss sie auch", pflichtete mir Gott bei, "sonst würde das mit der Erde nicht funktionieren. Ohne diesen starken Impuls, würde alles sehr schnell in ein totales Chaos abdriften."
"Also…, für mich ist bereits alles in einem totalen Chaos."
"Ja ich erinnere mich, das war dein Anliegen, warum du mich zum ersten Mal mit deinen 12Jahren kontaktiert hast." Gott musste lachen. "Aber erinnere dich bitte auch an die Sätze: Um zu wissen, was mir guttut, muss ich herausfinden, was mir nicht guttut. Um herauszufinden, was wirkliche Liebe ist, muss ich das Gegenteil, also die Nicht-Liebe, einfacher gesagt die Angst, den Hass, das Böse oder kurz gesagt die Hölle kennengelernt haben."
"Oh ja, daran erinnere ich mich. Und ich spüre das jetzt gerade bestens, denn ich bin gerade eben auf dem Exklusivtrip dorthin." Wie ein Vulkan schossen diese Worte aus mir heraus. Mir wurde mit einem Schlag bewusst, da war wirklich viel in Aufruhr in meinem Inneren.
"Nur scheinbar", beruhigte mich Gott, "es ist nur scheinbar ein Trip in die Hölle, das wirst du bald erkennen. Aber das kann ich dir erst auf unserer Reise erklären. Willst du nun mitkommen?"
"Ich habe doch schon Ja gesagt!", antwortete ich genervt.
"Ich wollte es nur nochmal hören. Dann darf ich dich bitten, mitzukommen ins göttliche Reisebüro."
"Göttliches Reisebüro, warum das denn?" Gott hatte es echt drauf, mich zu überraschen.
"Ach du musst mir nur ein paar Formulare ausfüllen und unterschreiben."
"Formulare??"
Das göttliche Reisebüro
Seit wann ist Gott so ein Paragraphenheini, dachte ich mir leise. Ich wusste natürlich, dass er das mitbekommen würde, aber ich war ein wenig genervt. Doch schon im nächsten Moment stand ich in der Eingangstüre eines Reisebüros. Es war eine Mischung als alt und modern, neueste Technik und alte Möbel, rot plüschig. Hinter dem großen altmodischen Schreibtisch saß eine Dame mittleren Alters, fast wie ein PinUp Girl gekleidet in einem roten Petticoat Kleid mit weißen Punkten. Sie hatte eine üppig geschwungene, schwarze Hornbrille auf der Nase mit Strasssteinen an beiden Ecken bei den Bügeln. Als sie mich sah, sprang sie wie in einem schlechten amerikanischen Film aus den 50iger Jahren auf und kam mir mit übertrieben ausgestreckten Armen entgegen. Mit einer leicht schrillen, übereuphorisch klingenden Stimme begrüßte sie mich.
"Herzlich willkommen, lieber Jona, schön dass Sie es einrichten konnten."
"Einrichten? Das ist gut gesagt, ich wurde ja regelrecht gezwungen, von wegen freie Wahl."
"Ja manchmal ist der Chef ein wenig drängelig.", verteidigte sie Gott. "Ach der Arme hat ja stets ne Menge zu tun." Sie ging zurück an ihren Platz, nachdem sie mir den Stuhl vor dem Schreibtisch angeboten hatte, und setze sich. Dann fing sie an in ihren Unterlagen zu kramen und zog aus einem hohen Stapel eine kleine Aktenmappe heraus. "So, er sagte mir, Sie wollten die Reise zurück ins Paradies buchen? Richtig?"
"Richtig!... Ehmmm…. Was soll die denn überhaupt kosten?" Mir wurde auf einen Schlag bewusst, darüber hatten wir gar nicht gesprochen und ich bekam Angst, dass ich mir diese Reise gar nicht leisten konnte, jetzt wo ich doch arbeitslos war.
"Ach Sie Spaßvogel, was die kosten soll?", lachte mich fröhlich die Dame auf der anderen Seite des Schreibtisches an. "Hah ha ha… das Leben natürlich."
"Das Leben?? Soll ich etwa sterben??" Ich war geschockt, so hatte ich mir meine Reise nicht vorgestellt.
"Früher oder später sicherlich", antwortete sie. "Aber soviel ich weiß, sind Sie noch nicht dran. Also keine Panik auf der Titanic, hah hah ha. Die war seinerzeit dran, aber so was von dran! Haha haha haha.
Ich verstand nur Bahnhof, was meinte sie mit sowas von dran? Irgendwie war sie schon sehr schräg dachte ich mir, in der Hoffnung, dass sie meine Gedanken nicht lesen könne.
"Ich meine die Titanic, nicht Sie. Wer so laut herausschreit, sein Schiff sei unsinkbar, der schreit ja förmlich nach dem Gegenbeweis. Aber wie gesagt, keine Panik! Sie haben ja schließlich nicht gesagt, Sie seien unsinkbar, oder?"
Ich nickte hefig zustimmend, um zu signalisieren, dass ich nichts dergleichen verlautbart hätte.
"Nun, dann müssen Sie sich auch keine Gedanken darüber machen. Sie müssen nur ein paar Reisebedingungen unterschreiben."
"Reisebedingungen??" Das war sicher Gottes schräger Humor dachte ich mir.
"Nun, ich weiß auch nichts Genaues darüber, aber der Chef besteht unbedingt darauf, weil er sagt, sonst macht die Reise keinen Sinn. Am besten ich lese sie Ihnen einfach mal vor."
Ich nickte wiederum zustimmend und mahlte mir schon das Schlimmste aus: irgendwelche Knebelverträge, die mir dann am Ende doch mein Leben kosten würden, so wie ich es aus der Geschäftswelt kannte, in der ich bis vor zwei Tagen noch tätig war. Aber wie immer wurde ich von Gott aufs schönste überrascht.
"Also, der Chef nennt es seine drei Prämissen", fing die Reisebüroangestellte an. "Ohne diese Prämissen – und ich soll das ausdrücklich betonen –, würde alles, was er Ihnen sagen und zeigen wird, keinen Sinn ergeben. Also nur wenn Sie diese drei Prämissen anerkennen, können Sie die Reise antreten. Sorry, das ist Vorschrift vom Chef."
"Schon gut, lesen Sie sie mir einfach vor.", beruhigte ich sie.
Sie zog einen winzigen Zettel aus einer Schublade ihres Schreibtisches, der die Größe einer mittleren Briefmarke hatte. Mir schwante wieder böses: "Was soll das denn sein, ein Knebelvertrag mit Kleingedrucktem in 2 Punkt Schrift?"
"Um genau zu sein 0,2 Punkt Schrift. Wir können jede Schriftgröße lesen und Gott mag keine unnötige Verschwendung. Aber lassen Sie uns damit nicht aufhalten."
"Kommen wir zu Prämisse Nr 1.
Die Quelle von allem ist Gott.
Alles, was auf dieser Erde und im Universum existiert, ob sichtbar oder unsichtbar, all das stammt direkt oder indirekt von Gott. All das Gute und Schöne, aber auch all das Böse, Negative, Diabolische, ist von Gott geschaffen. Auch all die Menschen oder Wesen, die uns scheinbar böses wollen, gemeinhin auch als 'Gefallene Engel', 'Asuras' oder 'Archonten' und viele, viele andere Namen, wie zum Beispiel der im christlichen Raum bekannteste, nämlich 'Der Teufel', sind Gottes Werk. Egal wie man diese Wesen nennt, es ist immer nur ein Synonym für das Gegenteil von Gott."
"Warum hat er diese Wesen erschaffen?", fragte ich verwundert nach.
"Freie Wahl!", entgegnete mir die nette Dame in ihrem roten Petticoat Kleid. "Es geht wie immer um die freie Wahl und den freien Willen, den Gott hier auf Erden installiert hat. Denn für eine freie Wahl benötigt ihr Menschenwesen eine Aus-Wahl. Zwischen Gut und Gut gibt es keine Wahlmöglichkeit, es bedarf Gut und Schlecht, oder plus minus, oder einfach gesagt Yin Yang, die sogenannten Dualitäten, so wie Sie es hier von der Erde kennen. Hahahhaha!" Ihr leicht schrilles Lachen hatte fast etwas Diabolisches im Unterton.
"Er hat sich kein bisschen verändert, der liebe Gott. Immer noch dieselben alten Späße.", kommentierte ich, ohne groß über meine Aussage nachzudenken.
Wie aus der Pistole geschossen kam ihre Zurechtweisung zu meinem unsachlichen Kommentar: "Ich glaube nicht, dass es ein Spaß ist, junger Mann. Der Chef hat sich schon etwas dabei gedacht und damit kommen wir zu Prämisse 2.
Alles, was Gott erschaffen hat, hat einen Sinn?
Welchen? Das müsst oder besser dürft ihr selbst herausfinden. Das ist eine eurer Aufgaben in der Inkarnation "Mensch". Dabei sollt ihr immer vor Augen haben, Gott irrt nicht, vor allem er zürnt und er straft nicht, er ist kein Sadist. Oder wie Sie, junger Mann, es ausdrücken würden, er baut keinen Mist."
"Einstein sagte mal: Gott würfelt nicht!", versuchte ich meinen Fauxpas von vorhin mit streberhafter Klugheit wieder auszubügeln, "ist das nicht die Begründung für seinen Lieblingssatz: Alles was ist, was passiert, ist zu unserem Besten."
"Sie müssen mich nicht mit überbordenter Intelligenz beeindrucken, junger Mann, ich mag Sie so, wie sie sind, keine Panik." Dabei blinzelte sie mir frech zu, als wollte sie mit mir flirten. Ich wurde rot. Doch sie ließ keine peinliche Situation aufkommen und fuhr augenblicklich fort.
"Und ja richtig, dass alles einen Sinn hat, bedeutet natürlich auch, dass alles, was passiert, zu eurem besten ist. Sonst wäre es ja nicht sinnvoll. Damit kommen wir zu Punkt Nr. 3."
Diese Erde wurde für Euch Menschen geschaffen, d.h. sie ist für Euch da."
Sie machte eine längere Pause und fuhr dann sehr bestimmt fort. "Also anstatt zu fragen 'Wer bin ich und warum, was ist der Sinn meines Lebens?' solltet Ihr Euch lieber fragen, 'Warum gibt es diese Erde, was ist ihr Sinn und welche Rolle spielen wir bzw. ich darin?' "
"Ja das ist wirklich eine gute Frage", entgegnete ich. Ich hatte mir noch nie diese Frage gestellt, sondern wie alle anderen eben auch, wer bin ich und warum! Ich merkte, wie eingeschränkt und egobezogen diese Frage letztendlich war, denn sie ließ die Basis, nämlich unsere Mutter Erde, komplett außen vor. Dabei wäre es so logisch, wenn alles einen Sinn hat, dann muss auch die Erde einen haben. Nur welchen? Das sollte mir bald klarer werden, denn schon mit dem nächsten Satz brachte die nette Dame ein erstes Licht ins Dunkel.
"Ihr solltet die Erde ehren wie eine Mutter, denn sie ist euer erster, bester und treuester Freund und sie verzeiht fast alles. Vor allem entgegen eurer üblichen Vorstellung ist sie keine bloße, runde Steinkugel mit Erde und Wasser drauf, sondern ein lebendiges Wesen mit einem großen Herz. Überlegen Sie doch einfach mal: alles auf dieser Erde kommt von Mutter Erde! Ohne sie gibt es kein Essen, kein Trinken, kein Dach über dem Kopf, …
Ich fiel ihr ins Wort und wollte selbst ein paar Dinge aufzählen, um zu zeigen, dass ich es verstanden hatte: "… keine Handtaschen, keine Schuhe, keine Ferraris! Es gäbe nicht einmal uns Menschen!" Ich sagte das damals so lapidar dahin, aber im Nachhinein wurde mir erst bewusst, wie weitreichend diese Aussage tatsächlich war. Und dabei fiel mir zum ersten Mal auf, wie komplex auf der Erde alles aufeinander abgestimmt war.
Die Prämisse 1: 'Gott ist die Quelle von allem', erhielt dadurch gleich mehr Gewicht. Das war sicherlich eine gewaltige und anstrengende Aufgabe, sich das alles auszudenken. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie selbstverständlich wir die Erde nahmen, wie wenig wir über sie nachdachten, zumindest ich und alle Menschen, mit denen ich in meinem Leben bislang zu tun hatte. Es war irgendwie für jedermann absolut selbstverständlich, alles von ihr einfach so ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Ich hörte ja schon viel über die Dankbarkeit und konnte bislang nicht verstehen, wofür ich dankbar sein sollte. Nun hatte ich etwas, worauf ich meine Dankbarkeit richten konnte.
"Ja, ohne die Erde ist alles nichts, rein gar nichts..." riss mich die Reisebüroangestellte aus meinen philosophischen Gedanken. Dabei rollte sie pathetisch mit den Augen und fuhr dann ganz getragen fort: "Das also sind die 3 Prämissen: 'Gott ist die Quelle von allem, alles hat einen Sinn und die Erde wurde für Euch, für die Inkarnation Mensch geschaffen'. Sie sind die Basis für all die Lektionen auf Ihrer Reise."
Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich es verstanden hatte, da hob sie nochmals kurz den rechten Zeigefinger als Zeichen dafür, dass ich ihr nochmals zuhören solle:
"Übrigens, das hat der Chef auch noch gesagt, sollten Sie am Ende nicht davon überzeugt sein, können Sie getrost alles wieder vergessen. Dann war die Reise halt ein schöner Zeitvertreib. So jetzt brauche ich ihre Unterschrift, dass Sie die Bedingungen gelesen, verstanden und akzeptiert haben und dann kann's auch schon losgehen. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise."
Ich setzte meine Unterschrift unter das winzige Stück Papier, so gut ich konnte, stand auf und wollte gerade zur Türe hinaus verschwinden, da rief mir die nette Dame nochmal hinterher:
"Entschuldigung bitte, an etwas soll ich sie noch erinnern, das hätte ich beinahe vergessen: der Chef wird immer wieder ganz unterschiedlich in Erscheinung treten. Je nachdem, was für die anstehende Lektion erforderlich ist."
"Sie meinen mal jung, mal alt, mal dick, mal dünn, mal männlich, mal weiblich…, z.B. als Reisebürokauffrau?" Ich kannte Gottes Lust am Verkleiden und Ändern des Geschlechts noch von früher. Damals hatte Gott mir erklärt, ersie habe keinerlei Geschlecht und auch keinerlei Form, ersie erscheine mir nur so, wie ihnsie erwarte oder rufe. Ich hatte es nicht so genau verstanden, warum Gott manchmal als Frau erschien, denn ich sah Gott immer männlich. Aber ich bin sicher, wenn Gott einer Frau erscheint, wird Gott vorwiegend in weiblicher Form auftreten. Egal wie man Gott sieht, Gott ist und bleibt die Quelle, die Macht über oder hinter oder um uns herum. In meiner Wahrnehmung wird er aber immer männlich bleiben…
Und wieder einmal sollte ich aus meinen Gedanken herausgerissen werden, denn noch einmal meldete sich die nette Dame vom göttlichen Reisebüro: "Sie sind ja wirklich ein schlaues Kerlchen, der Chef hatte mich schon vorgewarnt. Gute Reise und viel Spaß im Paradies, …oder auf dem Weg dorthin!"
Offensichtlich konnte auch sie meine Gedanken lesen, was mich in dem Glauben bestärkte, dass das doch eine der Verkleidungen von Gott war, sprich dass die Dame in Wirklichkeit Gott war. Ja Gott liebt solche Überraschungen, da sage ich noch, Gott ist für mich männlich, und schon erscheint mir Gott als Frau.
Als die Türe des Reisebüros hinter mir zufiel, saß ich plötzlich hellwach und aufrecht im Bett auf meiner Almhütte. Ich hatte total vergessen, dass ich noch dort war. Ich blickte auf die Uhr und stellte fest, dass es kurz vor Sonnenaufgang war. Ich zog mir etwas Warmes über und schlich mich leise nach draußen, um mir den Sonnenaufgang anzusehen. Ich wollte niemanden aufwecken, doch der Holzboden knarzte fürchterlich laut.
Der Sonnenaufgang war gigantisch, die Farben – von einem Dunkelorange bis hin zu einem leuchtenden Goldgelb – wechselten von Minute zu Minute. Waren anfangs die Felsen nur ganz schwach in einem fast schmutzigen Orange beleuchtet, so wurden sie mit jeder Sekunde heller und strahlender. So ein Sonnenaufgang in den Bergen ist schon ein ganz außergewöhnliches Spektakel, dachte ich mir, wie könnte das Paradies ein solches Szenario hier noch toppen?
Und doch wusste ich, es war nicht vergleichbar mit dem Paradies. Denn hier in unserer Welt wissen wir alle, nach dem Sonnenaufgang beginnt der ganz normale Alltag mit all seinen Problemen und Widrigkeiten, die das Leben auf der feststofflichen Erde mit sich bringt.
Ich blieb noch ein paar Tage auf der Almhütte und genoss das wunderbare Wetter. Ich bestieg so manchen Gipfel und lernte einige Leute kennen, mit denen ich auch gemeinsame Touren unternahm. Gemeinschaften zu bilden ist in den Bergen immer so unkompliziert, ganz anders als in einer Großstadt. Man ist sofort per Du und teilt auch gerne das Essen und Trinken auf dem Gipfel. Diese permanente Angst um seins, um sein Eigentum ist den Menschen in den Bergen fremd. Irgendwie erscheint es, als wäre man den Schöpfergesetzen in den Bergen inmitten dieser massiven und gewaltigen Natur viel näher als in den Betonwüsten der Großstädte, fernab des nährenden Lichts und seiner energetischen Reflektion durch den Boden aus Erde, Gras, Bäume, Sträucher und Steine.
Die Energie, die einem in dieser Natur aus jeder Ecke, aus jedem Winkel, ja aus jeder Tannennadel oder noch so kleinem Grashalm mit dieser positiv aufladenden Wirkung entgegen strahlt, hat in den Städten eher die gegenteilige Auswirkung, so als ob die Chemie im Teer und in den Betonwänden, die Energie des Sonnenlichtes vergiftet. Ich kann es nicht konkret beschreiben, was der Unterschied ist, aber die Sonne in den Bergen, oder auch am Meer, beides ist für mich sehr ähnlich, fühlt sich immer ganz anders an.
Aber zurück zu meiner Geschichte. Beim Wandern dachte ich viel über die 3 Prämissen nach. Eines Tages, es war schon später Nachmittag, kam ich an einer ganz einfachen Hütte vorbei, die ein Schäfer bewohnte. Um die Hütte herum weideten seine Schafe, er saß gemütlich auf einer Bank und ließ sich die abendlichen Sonnenstrahlen auf den Bauch scheinen. Vor ihm stand ein Glas einfacher Rotwein und ein Stück Schafskäse.
Mit einem Male war ich so fixiert auf einen Schluck Rotwein und den Käse, dass ich nicht umhin konnte, ihn darum zu bitten. Er öffnete die Augen, blickte mich an und strahlte mit einem Male übers ganze Gesicht. Dann sprang er auf und holte ein frisches Glas und ein großes Brett mit frischem, köstlichstem Schafskäse aus der Hütte. Es war mir fast peinlich, doch er bestand darauf, dass ich das alles trinken und aufessen müsse. Dann fragte er mich aus, was ich hier mache und wo ich schon überall gewesen sei. Brav antwortete ich ihm und – warum auch immer – erzählte ich ihm von meinem Traum und natürlich den drei Prämissen. Als ich sie ihm erzählte – er war ganz neugierig darauf – sagte er nur ganz schlicht in seinem Bergdialekt:"Ja so isches!" (Ja, so ist es!)
Als ich ihn fragte, woher er das denn alles wüsste, antwortete er schlicht: "Desch sagt mia da Berg und moine Schaaf. Da basst ellet zamm und ois isch pafekt aufanand abgschdimmt. I kannt ned ohne meine Schaaf hia übalebm und die kantant ned ohne mi. Und da Berg gibt uns ois, was ma brachan. Ma muasn nua drum bidtn." (Das sagt mir der Berg und meine Schafe. Da passt alles zusammen und alles ist perfekt aufeinander abgestimmt. Ich könnte nicht ohne meine Schafe hier überleben und die könnten nicht ohne mich. Und der Berg gibt uns alles, was wir brauchen. Man muss ihn nur drum bitten.)
Was er mir auch noch verriet: einmal in seinen jungen Jahren da hatte er Angst, dass ihm der Berg nicht genügend geben würde. Und so baute er eine Scheune und legte Vorräte an. Er war aber immer in Sorge, dass seine Vorräte verschimmelten oder von Füchsen oder anderen Raubtieren geplündert würden. Er war ständig auf der Hut deswegen und konnte fast nicht mehr schlafen, weil er ständig Geräusche von herumstreunenden Tieren zu hören glaubte. Bis eines Tage in einem heftigen Gewitter ein gewaltiger Blitz einschlug und alles vernichtete.
Da habe er dann mit Gott gesprochen und ihn gefragt, warum ihm das passiert sei, und der habe ihm geantwortet: "Du hast es mit deiner Angst herbeigezogen. Vertraue darauf, dass ich dir immer genug gebe und du hast keine Sorgen mehr." Und so war es dann auch all die Jahre über, auch wenn es manchmal knapp wurde, hatte es immer gereicht. Sorgen, das kenne er nicht, grinste er fröhlich.
Es war schon fast dunkel, als ich mich auf den Weg zu meiner Hütte machte. Zum Glück hatte ich eine Stirnlampe dabei, so dass ich den Weg sicher fand. Lange dachte ich über das Gespräch mit dem Hirten nach, darüber dass er so selbstverständlich ebenfalls mit Gott sprach und vor allem dass er von Vertrauen sprach. Das war eines der Grundthemen bei meinem Gespräch, als ich zum ersten Mal im Alter von 12 Jahren mit Gott sprach und ehrlich gesagt, war ich noch immer nicht hundertprozentig im Vertrauen. Darum beneidete ich den Schäfer, dass es ihm so selbstverständlich gelang.
Wieder kamen mir die drei Prämissen in den Kopf. Irgendwie dachte ich mir, wenn man diese so hört, könnte man denken, Gott ist ganz schön eingebildet. Vor allem, wenn wir uns Gott in menschlicher Form vorstellen, was wir ja gerne tun: meist in Form eines alten Mannes mit zürnendem Blick, weißem Rauschebart und wehenden Gewändern, der gerne mit Blitzen um sich wirft. Doch das hat nichts mit dem zu tun, wie ich Gott erfahren habe.
Als Ivosun mache ich mir noch heute oft Gedanken, wie ich Gott am besten beschreiben soll? Oder soll ich besser sagen, das System Gott? Denn Gott ist hochkomplex und mit dem Verstand eines Menschen nicht wirklich erfassbar. Selbst ich als Ivosun habe noch nicht alles erfasst, was Gott ausmacht. Deshalb möchte ich hier auch nur einen ersten wichtigen Teilaspekt aufzeigen:
Dazu kam mir ein Bild aus einem meiner früheren Leben in den Sinn. Ich machte Urlaub am Meer und saß eines Abends ganz alleine auf einer Klippe knapp 100 Meter über dem Meer und blickte in die Abendsonne. Das Meer glitzerte in den berauschendsten Gold- und Silberfarben, die durch die Spiegelung des Sonnenlichts in den Wellen entstanden. Als ich dieses Bild wieder vor meinem geistigen Auge sah, wurde mir klar, Gott ist wie das Meer.
Wie ein riesiger Ozean, zusammengesetzt aus Trilliarden und Abertrilliarden einzelner Wassertropfen. Ver-eint ergeben diese Wassertropfen diesen riesigen Ozean. Einzeln sind die Wassertropfen in dem Ozean nicht erkennbar. Erst wenn wir sie voneinander trennen, können wir sie sehen. Und erst wenn wir einen solchen Wassertropfen in einen Behälter geben, können wir ihn dauerhaft von den anderen trennen. Ohne einen solchen Behälter drum herum würden die Wassertropfen ständig wieder zusammen streben, direkt in kleinen Rinnsalen oder sie verdunsten in Form von Wasserdampf und Wolken. Am Ende kommen sie immer wieder in dem riesigen Ozean zusammen.
Nun stellen wir uns vor, jeder einzelne Wassertropfen ist eine Seele und ver-eint ergeben sie Gott. Um sie dauerhaft voneinander zu trennen, müssen sie in ein Behältnis gesteckt werden, unsere Körper. Und schon ist klar, warum sich Seelen anfangs in einem Körper so unwohl fühlen. Denn genau wie Wassertropfen streben Seelen immer zu-einander und wollen sich wieder in Gott mit ihrer Urseele mit-einander vereinen. Allein in einen Körper gezwängt, ist für eine Seele ein fast grausamer Zustand: eingesperrt wie in ein Gefängnis!
Ich fragte mich früher oft, warum Gott will, dass sich die einzelnen Seelen, also die abgetrennten Gottheiten, in menschlichen Körpern inkarnieren? Warum schickt Gott uns sozusagen in die Hölle hier auf Erden? Mit der Eingangsgeschichte, dem Märchen vom Ort der Liebe, habe ich es zwar schon gut erklärt, aber wie bei vielen anderen Dingen auch, ist das nicht der einzige Aspekt unserer Reise.
Auf meine Frage nach den weiteren Absichten dahinter erhielt ich von Gott folgende für ihn typische Antwort: "Es ist ein Teil Eurer Aufgabe, das herauszufinden, deshalb will ich es dir nicht direkt sagen. Was ich auf jeden Fall will, ist, dass jeder für sich eine Antwort darauf findet. Dazu gebe ich dir ein paar Anregungen von anderen Inkarnierten, die ich schon gehört habe:
Gott, also ich, will mich erfahren, ich will meine Fähigkeiten erkunden, ich will die gesamte Vielfalt meiner Möglichkeiten physisch in einer feststofflichen Form erschaffen…
Eine Antwort, die mir besonders gut gefällt: ich will, dass sich die Seelen ganz bewusst für die Liebe entscheiden. Das geht natürlich nur, wenn ihr zuvor auch die andere, die dunkle Seite erfahren habt und dann entscheiden könnt. Deshalb die freie Wahl, deshalb Plus Minus."
Ich weiß heute, dass das wirklich die beste Möglichkeit war oder anders gesagt, ich könnte mir keine andere Möglichkeit vorstellen, um tatsächlich eine freie Wahl treffen zu können. Nur wer beide Seiten kennt, kann auswählen. Aber vielleicht ist das auch nur meine Wahrnehmung, meine Art zu denken. Vielleicht hat hier jeder andere Fähigkeiten. Für mich erschien jedoch diese am schlüssigsten.
Eines möchte ich zu unserem Aufenthalt auf der Erde und zur freien Wahl noch anfügen: Grundsätzlich haben wir die freie Wahl. Aber drei Dinge sind uns von Gott vorgegeben:
Das Voneinander Getrennt sein in einzelnen Körpern und der Anfang und das Ende. Also dass wir auf diese Welt kommen, und als Endziel das Paradies, die Rückkehr ins Land der Liebe oder wie auch immer wir es nennen wollen, denn es gibt viele Namen dafür. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir alle Erfahrungslevel hier auf Erden durchschreiten, vorher gibt es kein 'Entkommen', wie Gott es mir gegenüber einmal scherzhaft ausdrückte.
Als ich Gott fragte, ob es Abkürzungen und Hintertürchen gäbe, lachte Gott schallend und antwortete:
"Da kann keiner schummeln. Wenn ihr einmal ja zu dieser Reise gesagt habt, dann bedeutet freie Wahl: ihr könnt frei wählen, wann Ihr beginnen, welche Erfahrungen bzw. in welcher Reihenfolge ihr sie machen und wie lange ihr hier auf Erden verweilen wollt. Ihr könnt bleiben, solange ihr wollt, ihr könnt machen, was auch immer ihr wollt, aber ihr habt keine Wahl mehr, ob ihr kommen wollt. Ein Ja ist ein Ja! "
"Na das nenn ich mal ne Auswahl!", unkte ich, denn ich hatte das Gefühl, dass selbst die Entscheidung, ob wir auf die Erde kommen wollen, nur eine Frage der Zeit war und nicht wirklich, ob überhaupt. Früher oder später muss wahrscheinlich jede Seele diese Reise antreten.
"Ich weiß, das klingt sehr nach Fremdbestimmung, nach Gängeln und ihr könntet mehrere Leben lang auf der Erde damit verbringen, gegen mich zu revoltieren, was ja auch viele tun. Ihr könntet mit mir hadern, euch gegen mich auflehnen, mich bestrafen, indem ihr euch und vor allem andere aufs Grausamste behandelt, sie missbraucht, kurz gesagt euch der dunklen Seite zuwendet. Ihr könntet euch mehrfach durch Selbstmord aus diesem Leben stehlen, aber irgendwann müsst ihr euch der Situation und seiner Lösung stellen, wenn ihr die Erde wieder verlassen wollt."
"Das erinnert mich an den Film 'Täglich grüßt das Murmeltier'", warf ich ein, denn der Hauptdarsteller hatte darin auch das Problem, dass er immer und immer wieder den selben Tag erlebte und einfach diesen einen Tag nicht verlassen konnte, egal was er versuchte. Erst als er dann tatsächlich alles richtig machte, konnte er den nächsten Tag erleben.
"Ja ein sehr schöner Film. Er zeigt perfekt, wie das Durchschreiten der Levels funktioniert. Allerdings sind die Levels nicht ganz so starr vorgegeben und die Lösung ist nicht ganz so kitschig."
Ich pflichtete Gott bei, das Ende des Filmes war sehr kitschig, typisch Hollywood eben, aber ehrlich gesagt, war mir das gerade ziemlich egal. Mir brannte eine andere Sache ganz heftig auf den Nägeln.….
Ende Teil 1 Leseprobe
Ein paar Kapitel später…, Jona hat nun mittlerweile seine Reise angetreten und zwar eine Pilgerreise zusammen mit Gott durch eine sehr bergige Landschaft. Dabei musste Jona eine Nacht in seinem Zelt verbringen, nachdem er von einem heftigen Unwetter überrascht wurde. Er gewährte sogar einen anderen Wanderer namens Rolf Unterschlupf in seinem Zelt, als das Unwetter wie wild zu toben anfing. Beide unterhielten sie lange in die Nacht hinein, während das Unwetter draußen tobte. Durch das intensive Gespräch bemerkten sie kaum, wie sich das Zelt unter ihnen bewegte. Als sie am Morgen darauf erwachten, befanden sie sich zusammen mit ihrem Zelt an einem ganz anderen Ort. An diesem Ort treffen sie kurz später auch auf eine der Reisebegleitungen von Jona, mit der er 2 Tage zuvor auf dem Pilgerweg gegangen war. Auch stößt kurze Zeit später in einer seiner zahllosen Erscheinungsformen Gott als der verrückte Pilger Walter auf die Truppe….
Spieglein, Spieglein an der Wand…
Am nächsten Morgen wurde ich sanft von einem Rütteln an meiner Schulter geweckt. "Wach auf", sagte Rolf ganz aufgeregt. "Das musst du dir ansehen!"
"Was muss ich mir ansehen?", antwortete ich schlaftrunken. Rolf zog mich hoch und deute mir hektisch an, dass ich nach draußen sehen sollte. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen, öffnete meinen Schlafsack, um mich ganz aufrichten zu können. Rolf hatte recht, als ich hinaus schaute, traute ich meinen Augen nicht: es war ein traumhaft sonniger Morgen mit tiefblauem, wolkenlosen Himmel und wir waren an einem See gelandet. Einem ganz wunderbaren See, der vor sprühender Energie förmlich überbordete. Spiegelglatt und türkisfarben schien er mich laut anzuschreien: 'komm spring rein, geh baden!'
Gerade als ich loslaufen wollte, um hineinzuspringen, hielt mich Rolf zurück und fragte mich ganz aufgeregt: "Sag mal, war das hier an dem See, wo du gestern das Zelt aufgebaut hast und ich zu dir ins Zelt gekrochen bin? Ich dachte, das wäre viel weiter oben am Berg gewesen. Habe ich mich in dem Unwetter so verlaufen?"
Da ich wusste, er würde die Antwort nicht verstehen, ich hatte ja selber noch keine Antwort darauf, warum das Zelt nun plötzlich an dem See stand, anstatt wie tatsächlich oben am Berg bei der schönen Panoramaaussicht, versicherte ich ihm einfach: "Doch, doch, genau hier habe ich es aufgebaut. Schöner Ort, findest du nicht auch?"
Ohne seine Antwort abzuwarten, riss ich mir mit diesen Worten die Kleider vom Leib, rannte die paar Meter zum See und sprang pudel fasernackt hinein. Er war eisig kalt, aber andrerseits so erfrischend wie ein Jungbrunnen. Ich machte ein paar schnelle Schwimmzüge und ging dann wieder zurück ans Land. Hektisch, denn es war nicht nur im Wasser kalt, auch die Luft an Land war frostig, suchte ich nach meinem Handtuch.
Ich spürte, wie die Energie des Wassers durch jede Zelle meines Körpers strömte, so als würde er sich mit Licht anfüllen. Es war ein Pulsieren, ein Pochen in jeder Zelle, ich kann es kaum in Worte fassen. Ich sagte Rolf, er solle ebenfalls ein Bad nehmen, der aber lehnte ab. Es sei ihm definitiv zu kalt. Er bewundere mich, wie mutig ich da hineingesprungen wäre, aber für ihn sei das nichts.
Wieder warm in einen dicken Pulli eingepackt setzte ich mich auf einen Stein direkt am Wasser und blickte auf die spiegelglatte Oberfläche. Ich konnte mein Spiegelbild sehen und betrachtete es, …und betrachtete es, …und betrachtete… . Es zog mich förmlich in sich hinein, so als ob ich noch nie mein Spiegelbild gesehen hätte, so fasziniert war ich davon.
"Was machst du da?", wollte Rolf wissen.
"Ich betrachte mein Spiegelbild", antwortete ich artig und versank immer tiefer darin.
"Hat sich denn irgendwas verändert an dir, hast du dich in einen Haifisch verwandelt?", frotzelte Rolf.
"Nein…, natürlich nicht, aber irgendwas sieht anders aus", entgegnete ich ihm fast abwesend. Ich konnte gar nicht mehr wegsehen. "Komm, sieh dir das an", hörte ich mich noch sagen. Rolf kam tatsächlich und sah erst in mein Spiegelbild, dann betrachtete er sein eigenes und mit einem Male versank auch er in seinem Spiegel. Ich weiß nicht, wie lange wir da so zusammen saßen und starr auf das Wasser blickten.
Gefühlt war es eine Ewigkeit. Ich blickte durch mich hindurch, sah plötzlich Fetzen aus anderen Inkarnationen, ich sah mich als Urzeitmensch, als Ritter aus dem Mittelalter, als irgendjemand in einer Zeit, die ich nicht kannte. Es war wahrscheinlich eine Zeit aus der Zukunft, zumindest von meinem Leben als Jona aus gesehen. Ich konnte jede Menge Bilder sehen und viele Emotionen kamen hoch, wahrscheinlich alles Dinge, die ich in den diversen Leben erlebt habe. Es war ein faszinierendes und zugleich angsterregendes Gefühl, sein eigenes Spiegelbild so lange zu betrachten.
Irgendwann konnte ich mich losreißen und blickte auf. Rolf war noch mit seinem Spiegel beschäftigt.
Ich hatte plötzlich Lust auf ein Frühstück und wollte zum Zelt gehen. Aber anstelle des Zeltes standen nur unsere beiden Rucksäcke fein säuberlich gepackt da. Na super, dachte ich, woher sollte ich nun einen Tee oder besser noch einen Kaffee bekommen. Ich blickte mich um und sah in etwas Entfernung ein Cafe oder zumindest einen Kiosk direkt am See.
Mittlerweile hatte sich Rolf auch von seinem Spiegelbild gelöst und kam zu mir. "Warum hast du nichts gesagt, ich hätte dir doch beim Zeltabbau geholfen", kam er vorwurfsvoll angerannt.
"Nicht nötig, das ging razz fazz", antwortete ich und musste innerlich schmunzeln, weil es ja wirklich so war. Ich hatte ja selbst keinen Handstrich dafür getan. "Lust auf einen Kaffe?", lenkte ich ab und warf mir schon mal meinen Rucksack über die Schulter.
"Gute Idee!", Rolf schien sichtlich angetan von dem Vorschlag. Auf dem Weg zum Cafe erzählte er mir von seinen Erlebnissen mit dem Spiegelbild. Auch er hatte eigenartige Dinge gesehen, wie in einem halbzerstörten Film, der nur noch fetzenartige Bilder zeigte. Manche Ausschnitte kamen ihm seltsam vertraut vor, Einmal glaubte er sich selbst zu erkennen, wie er verfolgt wurde, aber so recht etwas anfangen konnte er damit nicht. "Schon komisch, was man für seltsames Zeug auf so einem Pilgerweg erlebt", schloss er seine Erzählung ab.
Das Cafe war wirklich eine Mischung aus Kiosk und Cafe, sozusagen ein Cafe mit Selbstbedienung. Wir holten uns zwei Cappuccinos und ein paar Croissants – ja die gab es da wirklich, wir waren selbst verwundert –. Während Rolf bezahlte – er wollte mich für meine Gastfreundschaft unbedingt einladen – suchte ich schon mal nach einem freien Platz an einem der Tische. Als ich mich so umblickte, sah ich ihn sofort. Er stach wie eine Leuchtboje heraus, der platinblonde Lockenkopf meiner Begleitung von vor zwei Tagen. Zielstrebig steuerte ich an ihren Tisch und tippte ihr auf die Schulter.
Die Freude war groß und natürlich wollte sie auch gleich wissen, wie es mir ergangen sei mit dem gestrigen Unwetter. Sie habe zum Glück gerade noch eine Hütte erreicht und konnte die Nacht ruhig im Schlaflager verbringen. Allerdings habe es einen riesigen Murenabgang gegeben und man vermutete, dass zwei Wanderer mit ihrem Zelt darin umgekommen wären. Sie hätten zwar ein paar Stunden nach ihnen gesucht, aber bei der Dunkelheit war das ziemlich aussichtslos. Heute Morgen hätten sie sich nochmals auf die Suche nach ihnen gemacht, aber ob sie etwas gefunden haben, das wisse sich nun nicht. "Zum Glück", beendete sie ihre Ausführung, "warst du das nicht." Und ich dachte mir nur: 'Die armen Sucher, wir waren doch beschützt, so viel Aufwand für nichts.'
In diesem Moment stieß auch Rolf zu uns und als ich sie gerade einander vorstellen wollte, spürte ich etwas Seltsames zwischen den beiden. Offensichtlich kannten sie sich bereits, aber da war noch etwas anderes zwischen den beiden.
"Du lebst?", begrüßte sie ihn und ihre Augen begannen freudig zu funkeln.
Rolf schien ebenso erfreut und zugleich besorgt.
"Zum Glück, haben die Schweine dich doch nicht gekriegt!", fuhr sie fort
Allmählich dämmerte mir, dass sie sich von Rolfs Arbeit her kannten. Wahrscheinlich war sie die Praktikantin, von der Rolf am Abend zuvor erzählt hatte.
"Sie haben überall herumerzählt, du seist bei einem Autounfall im Ausland irgendwo in Südamerika ums Leben gekommen, aber ich habe das nicht geglaubt." Rolf nahm sie in die Arme und drückte sie lange und fest an sich.
Allmählich hob er den Kopf und löste die Umarmung wieder. "Haben sie irgendwas von uns beiden und von deiner Hilfe für mich mitbekommen?", fragte er sie mit besorgtem Unterton.
"Nein gar nichts. Mein Praktikum war ja zu Ende und so konnte ich ganz unbemerkt die Firma verlassen. Sie haben keinen Verdacht, denke ich."
Also hatte ich recht, sie war die Praktikantin, die ihn ermutigt hatte, alles zu vernichten. Ich setzte mich erstmal hin, rührte ein wenig Zucker in meinen Cappuccino und trank einen ersten Schluck. Er schmeckte köstlich. Irgendwann würden sie mich schon aufklären, dachte ich mir.
Und richtig, wie ich mir schon dachte, sie war diese Praktikantin. Übrigens ihr Name war Inga. Ich bemerkte mal wieder mit Schrecken, dass ich sie selber gar nicht nach ihrem Namen gefragt hatte. Typisch ich, dachte ich mir. Ich war oft so sehr mit mir beschäftigt, dass ich die anderen um mich herum gar nicht wahrnahm. Ich hatte oft Streit deswegen mit meiner – mittlerweile – Exverlobten.
Inga erzählte nun Rolf ihrerseits, wie sie mich kennengelernt hatte, wie sie mir über den schmalsten Grad der Welt von knapp zwei Metern Breite geholfen hatte. Ich schämte mich deswegen ein wenig, aber Rolf gab mir Rückendeckung. Auch er sei an der Stelle sehr vorsichtig gegangen, erzählte er. Damit war mein Ruf wieder hergestellt!
Wir beschlossen zu dritt weiterzugehen, was mich sehr erfreute, denn mir war an diesem Tage irgendwie nach Gesellschaft. Es war einer der traumhaftesten Tage zum Wandern, die man sich nur vorstellen konnte. Oft, nach einem Gewitter in den Bergen ist die Luft am nächsten Tag besonders frisch und die Sicht glasklar. Wir konnten tatsächlich kilometerweit sehen. Inga und Rolf sprachen viel miteinander. Ich vermutete, dass da zwischen beiden mehr als nur ein Arbeitsverhältnis bestand. Nichts anrüchiges, nein, das war etwas ganz besonderes. Inga war viel jünger als Rolf und doch war eine ganz starke Anziehung zwischen den beiden zu spüren.
Rolf war vermutlich für sie so eine Art Vaterersatz. Es war wunderschön mit anzusehen, wie sie fürsorglich miteinander umgingen. Ständig wollte Rolf ihren Rucksack tragen. Nun das war wirklich ein wenig übertrieben, denn erstens hatte sie kaum etwas dabei und in den Bergen trägt jeder sein Zeug selbst, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Wer nicht fit ist, seine Sachen selbst zu tragen, hat in den Bergen nichts verloren, lautet die Regel. Natürlich, wenn sich jemand verletzt hatte, dann war das keine Frage, aber ansonsten sollte jeder seine Sachen selber tragen können.
Während die beiden so vertraut miteinander redeten und vor mir hergingen – sie liefen ein wenig schneller als ich –, beschäftigte ich mich mit der Spiegeltechnik, von der mir Gott in der Nacht zuvor erzählt hatte. Ich stellte – wie so gerne –unzählige Vermutungen darüber an, was Gott wohl damit meinte. Mir fiel wieder die morgendliche Szene am See ein, wo ich lange mein eigenes Spiegelbild betrachtet hatte. Doch ich vermutete, dass Gott etwas anderes damit gemeint hatte.
"Ganz recht", hörte ich die vertraute Stimme, diesmal aber ein wenig weiblicher klingend neben mir. Ich drehte mich zu der Stimme um und war überrascht, als ich eine Frau oder es war wohl eher ein Engel neben mir schweben sah.
"Bist du verrückt, was wenn dich die anderen sehen?", zischte ich den Engel ganz aufgeregt an.
"Oh was dann? Geht dann die Welt unter, macht es puff und alles ist vorbei?" Der Engel schien mich nicht ernst zu nehmen, ganz im Gegenteil, er fing auch noch an wie wild herumzuschwirren: von links nach rechts, um mich herum, auf und nieder. Er machte mich völlig verrückt mit seinem wilden Herumgeflattere. "Keine Panik", tönte er dann wieder mit fröhlich, beschwingter Stimme, "die anderen können mich nicht hören und nicht sehen. Und selbst wenn, sie sind beim Pilgern, da kann sowas schon mal vorkommen", kicherte der Engel.
"Gut", erwiderte ich, "dann unterhalten wir uns aber nur in Gedanken bitte. Sonst denken die anderen ja noch, ich bin bekloppt und führe Selbstgespräche."
"Ja das wäre eine Katastrophe, du als vollbekloppter Selbstgesprächeführer mitten in den Bergen. Vor allem weil sie sich ja ständig zu dir umdrehen." Der Engel hatte recht, die beiden waren komplett mit sich beschäftigt und auch schon ein ganzes Stück weiter vorne, sie würden wahrscheinlich gar nichts mitbekommen von meinem Gespräch mit dem wildgewordenen Engel.
"Du willst wissen, was Spiegeltechnik bedeutet", setzte der Engel unser Gespräch fort.
"Ja genau, ich habe keine Ahnung davon und du weißt ja, es macht mich total hippelig, wenn ich etwas nicht verstehe."
"Ja die Welt kann so grausam sein zu den Ungeduldigen…" Er lachte schallend, dann legte er los: "Spiegeltechnik bedeutet: wenn sich deine Seele mit einem Thema z.B. Loslassen und Vertrauen beschäftigen möchte, dann werden dir im Außen Dinge passieren, bei denen du lernen sollst, loszulassen und zu vertrauen. Je schneller und bewusster du die Lektionen annimmst, umso schmerzfreier werden sie für dich verlaufen. Ego, Seele und Geist müssen dabei bewusst am Training deiner seelischen oder besser gesagt göttlichen Fähigkeiten beteiligt sein, schließlich willst du ja irgendwann dein Paradies bewusst kreieren können. Und bitte, denke immer daran, Gehen hast du auch nicht an einem Tag gelernt."
"Ja richtig, ich weiß noch, als ich Rollschuhlaufen lernte, habe ich total blutige Knie gehabt, aber ich habe nicht aufgegeben und nach zwei Tagen konnte ich es."
"Apropos, was macht das Rollerbladen? Fährst du noch?"
"Nicht mehr, meine Freundin hat sich dabei verletzt und dann haben wir es beide aufgegeben."
"Schade, denn du warst gut darin und vor allem es hat dir riesig Spaß gemacht", gab Gott zu bedenken. Da hatte Gott leider recht, ich hatte wirklich Spaß und oft, wenn ich Kinder irgendwo laufen sah, hatte ich große Lust wieder anzufangen.
"Stimmt", räumte ich schließlich ein, "das sollte ich tun." Allmählich nervte mich das nervöse Herumgeflatter des Engels, offensichtlich ging ich ihm nicht schnell genug. Ich blieb ganz urplötzlich stehen und schrie ihn genervt an: "Kannst du bitte dein lächerliches Engelskostüm ausziehen und wieder ganz normal als Gott herumlaufen?"
"Gerne", und es machte ein leises Paff und siehe da, da stand er wieder, mein Gott. Allerdings diesmal völlig schräg gekleidet mit Hawaiihemd, einem riesigen Panamahut, gelben Bermudashorts und Flip Flops. Nur der perfekt ausgestattete Rucksack war der alte.
"Das ist jetzt aber nicht dein Ernst", entfuhr es mir voller Entsetzen. "Du siehst aus wie ein Urlauber in der Südsee."
"Du bist aber spießig geworden!", merkte Gott mit gespieltem Bedauern an.
"Mag ja sein, aber so läuft man einfach nicht in den Bergen rum", hielt ich dagegen.
"Was ist los, gestern war ich dir zu perfekt als Wanderer gekleidet, heute habe ich etwas anderes probiert. Das ist mal wieder typisch, dir kann man es einfach nicht recht machen, immer hast du etwas auszusetzen."
Ich musste schallend loslachen: "Weißt du, dass du gerade wie meine Mutter klingst? Die hat das ständig zu meinem Vater gesagt, genau diese Worte." Es amüsierte mich köstlich, denn ich hatte es nicht mehr gehört, seit ich von zuhause ausgezogen war.
"So! Tue ich das?", antwortete Gott mit spitzem Ton und imitierte nochmals meine Mutter.
"Köstlich, das tut gut, mal wieder herzhaft lachen zu können." Ich dankte Gott für seine Einlage und entschuldigte mich zugleich, dass ich am göttlichen Outfit herumkritisiert hatte: "Bitte bleibe so, wie du bist, so amüsierst du mich wenigstens und es kann dich ja eh kein andrer sehen."
"Doch jetzt schon."
"Was soll das heißen, jetzt schon?" Die Panik stand mir ins Gesicht geschrieben.
"Jetzt können mich alle sehen, aber beruhige dich. Sag ihnen einfach, ich bin ein Pilger, der zu dir aufgerückt ist. Da gibt es ja genug Verrückte darunter. Wo sind die beiden überhaupt?", fragte Gott und drehte sich zu mir.
Ich sah nach vorne und richtig, sie waren mittlerweile ein ganzes Stück weiter vorne, der Flatterengel hatte mich anscheinend noch langsamer gemacht. Ich rief nach ihnen, aber sie waren außer Rufweite. Anscheinend hatten sie mich total vergessen, schoss es mir durch den Kopf. Sie warteten überhaupt nicht auf mich und schon machten sich dunkle Gedanken in meinen Kopf breit: sieht das so aus, dachte ich mir, wenn man zu dritt geht. Soll das eine Pilgergemeinschaft sein? Ich spürte, wie in mir plötzlich Wut aufstieg darüber, dass man mich offensichtlich so schnell vergessen hatte. Ich bin ihnen wohl völlig unwichtig, schrie ich innerlich voller Zorn.
"Genau, du bist ihnen völlig egal!", wiederholte Gott, "die wollen ganz allein für sich sein."
"Ja so sieht es aus." Mein Zorn schwoll weiter an.
"Das würde ich mir nicht bieten lassen, du solltest sie zur Rede stellen. Was die sich denn einbilden, wer sie sind! Du bist wohl nicht gut genug für sie", stichelte Gott.
"Da hast du absolut recht", bestätigte ich Gott und merkte dabei gar nicht, wie Gottes Worte mich anstachelten und anstachelten. Es ging noch zwei-, dreimal so hin und her, bis Gott laut schrie:
"Stopp, aufhören! …Merkst du, was gerade passiert?"
Ich merkte im ersten Moment gar nichts, ich war viel zu wütend.
"Das nennt man Spiegeltechnik."
"Spiegeltechnik? Ich verstehe nur Bahnhof. Was meinst du?", fauchte ich.
"Bitte sag mir, was gerade bei dir passiert ist? Was und welche Emotionen hast du gerade erlebt? Achte dabei auf jedes Detail."
Ich war verwirrt, ich wusste nicht, worauf Gott hinaus wollte. Was sollte denn gerade passiert sein? Ich habe mich zurecht über ein Fehlverhalten… Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte eine Szene erlebt, die in mir eine heftige Emotion ausgelöst hat. Ich fühlte mich alleine gelassen.
"Ganz genau, du fühltest dich allein gelassen, ein Gefühl, das du gut kennst, das du aber fast panisch zu vermeiden versuchst."
"Warum sollte ich es vermeiden wollen?"
"Alleinsein ist eines der unangenehmsten Gefühle, die ihr Menschen erleben könnt. Denn es bedeutet: ihr werdet nicht geliebt, keiner mag euch, keiner braucht euch. Aber du weißt ja schon, du bist niemals allein, du bist ständig umringt von deinen Seelengeschwistern. Also Alleinsein ist nur eine Illusion und in Wirklichkeit hat das Wort Alleinsein ähnlich wie das Wort Zufall eine ganz andere Bedeutung. Zerleg es doch einfach mal."
"Wie zerlegen", fragte ich verwundert nach.
"In die einzelnen Worte, so wie Zu - Fall!"
"All – ein - sein…?"
"Genau, mit dem All eins sein. Um dein Paradies kreieren zu können, musst du die Kunst des Einssein mit dem All beherrschen. Das wurde dir gerade gespiegelt."
Ich blieb stehen und dachte nach. Das war eine ganz neue Sichtweise: einerseits von dem Wort selbst und andrerseits wie man solche Erlebnisse deuten konnte. Nämlich, anstatt sich darüber aufzuregen, was man mir schreckliches antut, die Botschaft darin zu erkennen und sich zu fragen: 'Warum passiert mir das, was will es mir sagen, welchen Spiegel hält es mir vor?'
Es war eine fundamentale Erkenntnis. Im Schneckentempo, ja fast wie in Trance ging ich langsam weiter. Unzählige Szenen aus meinem Leben als Jona, die ich bislang falsch gedeutet hatte, huschten an meinem inneren Auge vorbei. Es war wie eine gigantische Filmcollage, die nicht aufhören wollte. Oh Gott dachte ich mir, warum habe ich das nicht früher gewusst, da hätte ich mir einiges erspart.
"Hätte, hätte, Fahrradkette", rief Gott mal wieder laut hinaus und holte mich damit schlagartig aus meinen Träumereien heraus. "Alles passiert zur richtigen Zeit am richtigen Ort… Kannst du dich zumindest noch an diese Regel aus unserem ersten Gespräch erinnern?"
Ich konnte es zwar nicht wirklich, aber irgendetwas schlummerte noch in meinem Hinterkopf.
"Es gibt niemals den falschen Zeitpunkt, es gibt niemals eine falsche Entscheidung oder den falschen Ort. Da wo du stehst, ist es immer richtig für dich. Das was du tust, ist immer richtig für dich. Prämisse 2: alles ist sinnvoll aufeinander abgestimmt. Es mag nicht immer zu deinem besten als Mensch sein, als die Inkarnation, die du gerade bist. Aber es ist immer zu deinem besten als das Wesen dahinter."
Wir gingen erstmal eine Weile schweigend weiter. Gott in den Flip Flops, sprang wie ein junger Hüpfer munter vor mir her und erfreute sich des wunderbaren Wetters und der tollen Aussichten. Wir waren wieder ein wenig höher gestiegen und die Panoramablicke mehrten sich. Plötzlich drehte er sich zu mir um und sprach: Das war übrigens nicht die einzige Botschaft, die dir gerade gespiegelt wurde. Da war noch ganz viel anderes darin enthalten."
"Was denn noch?", verwunderte ich mich.
"Welche Emotion kam hoch bei dir?", bohrte Gott nach.
"Pff… Ich wurde wütend.", gab ich schließlich kleinlaut zu.
"Genau, da kochte eine ganz schöne Wut in dir hoch. Zugegeben ich habe ein wenig nachgeholfen…"
"Ein wenig?... Du hast wie verrückt gestichelt", beschwerte ich mich.
"Egal wie sehr, die Wut kam von dir, ich wollte sie dich nur ein wenig mehr spüren lassen.
"Das ist dir geglückt."
"Danke!" Gott verneigte sich vor mir, als hätte ich das tollste Kompliment gemacht. "Wut kommt immer von nicht erfüllten Erwartungen, soll heißen, du hattest Erwartungen."
"Entschuldige bitte, wenn wir sagen, wir gehen zu dritt, dann erwarte ich auch…"
"Siehst du, du erwartest", unterbrach mich Gott.
"Aber ist das nicht normal, wenn man zuvor ausmacht, dass man gemeinsam geht?"
"Das Leben ist ein ständiger Fluss und du weißt nie, was hinter der nächsten Biegung auf dich wartet. Die beiden hatten eine sehr spezielle Vergangenheit, nicht ungefährlich und das schweißt zusammen. Die haben sich viel zu erzählen und du hast selbst bemerkt, dass da mehr ist als nur ein Verhältnis unter Kollegen. Das hat nichts mit dir zu tun, also gönne ihnen diese Momente des Wiedersehens und schau, da warten sie auch schon auf dich."
Tatsächlich, wir bogen gerade um einen riesigen Felsvorsprung, da sahen wir eine kleine Almhütte mit ein paar Tischen davor auf der Wiese. Die beiden winkten uns zu sich an ihren Tisch. Sie hatten sogar schon ein Getränk für mich besorgt. Ganz aufgeregt fragten sie, ob mir etwas passiert sei, weil sie schon eine kleine Weile auf mich warteten. Sie wollten gerade aufbrechen, um mich zu suchen. Ich wollte am liebsten vor Scham in den Boden versinken, was für dumme, kleinliche Gedanken ich doch gerade noch hatte. Da fragte Inga ganz neugierig in die Runde, wer denn der gutgekleidete Mann da neben mir sei, den ich mitgebracht hätte.
Gott stellte sich selber vor: "Oh Dankeschön junge Dame für das Kompliment. Mein Name ist Walter und ich bin ein Pilger."
"Willkommen im Club", antwortete Rolf und reichte ihm die Hand, "Rolf…, Rolf ist mein Name und das ist übrigens Inga."
Alle reichten sich die Hände, Rolf organisierte sofort noch etwas zu trinken für meinen Gott namens Walter. Wie er da wohl drauf kam, dachte ich nur. Und schon begannen alle munter durcheinander zu plaudern, wie schön doch das Wetter sei, woher jeder einzelne komme und was jeder so erlebt habe. Rolf fragte ganz nebenbei, ob Walter auch den Weg zu Gott suche.
Der antwortete ausweichend: "Nicht so wirklich, den kenn ich schon." Um nicht weiter drauf eingehen zu müssen, erzählte Gott ein paar phantastische Geschichten von seinem bisherigen Pilgerweg und alle hingen gespannt an seinen Lippen. Nach fast einer Stunde Rast erhoben wir uns und brachen gemeinsam wieder auf. Ich war ständig versucht, den anderen zu erzählen, wer Walter wirklich ist, aber Gott zischte mir einmal im Vorbeigehen kurz zu: "Gönn mir doch den Spaß und außerdem würde dir eh keiner glauben." Damit hatte Gott wohl recht.
Später auf dem Weg setzten sich Inga und Rolf wieder ein wenig ab. Mir war das ganz recht, denn so hatte ich Zeit mit Gott weiter über die Spiegeltechnik zureden.
"Waren das denn nun alle Dinge, die mir gespiegelt wurden?", fragte ich neugierig.
"Nein, noch lange nicht", antwortete Gott, "du solltest dich auch fragen, warum es dich wütend machte, dass du plötzlich alleine hinterher getrottet bist. Da steckt noch der große Wunsch nach einer Zweisamkeit in dir, da steckt die Enttäuschung des Vergessenwerdens und des Unwichtigseins in dir und noch viele kleine Dinge, an denen du arbeiten sollst. Denn nur wenn du alle deine Begehren kennst und sie im besten Falle beseitigst hast oder zumindest kontrollieren kannst, bist du bereit für dein Paradies."
"Und das ist alles, was es braucht, um ins Paradies zu kommen?"
"Das ist nur eine Voraussetzung dafür, die wahre Arbeit – darüber haben wir vorher schon einmal gesprochen – liegt in der Entwicklung deiner göttlichen Fähigkeiten."
"Was sind denn meine göttlichen Fähigkeiten?", fragte ich damals mit der Naivität eines Erstklässlers.
"Einfach gesagt, alles was ich kann, kannst du auch."
"Alles??", rief ich erstaunt aus.
"Ja alles, denn ihr alle seid ein Teil von mir und habt somit alles in euch, was auch ich habe. Denn so wie jede Zelle eures Körpers den kompletten Bauplan des Körpers in sich trägt, so hat auch jede Seele den kompletten Bauplan von mir, von Gott in sich."
"Das hieße ja dann", resümierte ich, "ich bin Gott?"
"Richtig, das heißt es. Jeder von euch wäre ein hundertprozentiger Gott, hätte er all seine göttlichen Fähigkeiten voll aktiviert. Leider – und das ist der springende Punkt – hat so gut wie keiner sein hundertprozentiges Vertrauen darin entwickelt. Jeder noch so kleine Hauch von Misstrauen lässt euch scheitern. Kannst du dich noch an deinen Unfall mit den Rollerblades erinnern?"
"Oh ja, das tat weh." Ich spürte den Schmerz noch heute nach über 17 Jahren. Damals wollte ich die neue Halfpipe auf unserem Spielplatz ausprobieren. Ich hatte schon zu anfangs ein mulmiges Gefühl, sie war extrem hoch und ich war noch nie eine so große Halfpipe gefahren. Als ich dann dran war, wollte ich eigentlich gar nicht mehr fahren, aber die anderen drängten mich. Und als mich dann vor allem die älteren Jungs verhöhnten und aufzogen, was ich doch für eine Memme sei, weil ich nicht den Mut hatte, genug Schwung zu nehmen, um hochzukommen auf den Table der Halfpipe, da verlor ich komplett die Kontrolle und stürzte so schwer, dass ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Ich hatte eine mächtige Gehirnerschütterung.
"So ergeht es euch, wenn ihr euren Fähigkeiten misstraut, du hättest es locker gekonnt, oder sie nicht richtig einschätzen könnt. Du warst an dem Tag nicht fit und hast nicht auf deine innere Stimme gehört, sondern hast dich von anderen bedrängen lassen."
"Oh ja, ich hörte nur noch: mach endlich, los, geh, du Feigling, du Memme, du Riesenbaby", bestätige ich laut lachend mein Missgeschick von damals. Mittlerweile konnte ich darüber lachen, damals brach für mich eine Welt zusammen, weil ich mich bis auf die Knochen blamierte und lange Zeit das Gefühl hatte, total versagt zu haben. Aber nach all den tollen Begegnungen im Krankenhaus mit all den außergewöhnlichen Erfahrungen, die ich dort machen durfte, war mir schon damals klar, das sollte mir passieren, um genau diese Erfahrungen machen und den Menschen dort im Krankenhaus begegnen zu können.
Wie Gott immer sagt: 'alles passiert aus einem bestimmten Grund und immer zu meinem Besten'. Auch wenn es damals mein mangelndes Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten widerspiegelte, so hatte es im Ende doch Sinn für mich. Womit wir wieder bei Prämisse 2 wären, alles ist sinnvoll aufeinander abgestimmt. Diese Prämissen machten wirklich Sinn!
"Mit den göttlichen – oder lasse sie mich weniger hochtrabend 'seelische' Fähigkeiten nennen – verhält es sich genauso", riss mich Gott wieder aus meinen Gedanken. "Ihr müsst lernen, eure seelischen Fähigkeiten und das Vertrauen darin richtig einzuschätzen. Ein Führerscheinneuling sollte nicht gleich mit einem Formel Eins Auto losstarten, das gäbe einen Monstercrash."
Ich stellte mir das sogleich bildlich vor. Da kommt jemand frisch mit seinem neuen Führerschein in der Hand auf die Piste gerannt, springt in ein Formel 1 Auto und startet los. Selbst wenn er es beim ersten Anfahren nicht gleich abgewürgt hätte, wäre er maximal bis zur ersten Kurve gekommen und dann wahrscheinlich in eine der Leitplanken links oder rechts rein gekracht. Denn die Lenkung in einem Formel Auto funktioniert viel direkter. Eine viertel Drehung am Lenkrad ist eine 90 Grad Kurve. Wer das nicht gewohnt ist, der verliert sofort die Kontrolle über den Rennwagen und knallt in eine der Banden. Ich durfte einmal bei einer Incentive-Veranstaltung meiner Firma für die besten Mitarbeiter an einem Renntraining mit einer Abschlussfahrt im Formel 1 Renntaxi teilnehmen. Deshalb konnte ich mir das so gut vorstellen.
"Es gibt übrigens eine super gute Warnfunktion, wenn ihr euren Fähigkeiten misstraut", meldete sich Gott zurück.
"Was soll das sein?", verwunderte ich mich.
"Ganz einfach, es ist die Angst und die wird von eurem Urego ausgelöst, denn hier geht es um den Schutz des Körpers."
"Aber du hast vorhin gesagt, das Ego ist noch auf die Urzeit programmiert und reagiert heutzutage meist über. Macht es denn Sinn, immer sofort auf diese Angst vom Urego zu hören?"
"Wie heißt es so schön, lieber einmal zu viel gebremst, als einmal zu wenig. Du hast mich vorhin gefragt, wie du solch schwere Unfälle vermeiden kannst?"
"Ja richtig, das habe ich", bestätigte ich.
"Es ist wichtig, dass du die Angst ernst nimmst. Wenn es übertrieben sein sollte, kannst du es ja beim nächsten Mal besser machen, aber erst einmal solltest du sie ernst nehmen. Dem Sicherungswunsch deines Egos, in diesem Fall Uregos, solltest du in dem Maße nachkommen, wie es sinnvoll ist. Dazu habe ich dir einen Verstand mit auf den Weg gegeben, den du in solchen Fällen gerne benutzen darfst."
"Du hättest vielleicht eine Warnleuchte einbauen sollen für die Fälle, wo es Sinn macht, den Verstand mit zuzuschalten. Sowas gibt es ja auch bei modernen Autos: einen Sensor´, der uns z.B. sagt, dass die Straße rutschig ist und dass wir das Anti-Schlupf-Programm, das ASP zuschalten sollten."
"Oh ja so ein ASP für den Verstand wäre sicherlich hilfreich", amüsierte sich Gott, "aber genau um das zu lernen, seid ihr hier. Ihr solltet euer eigener Sensor werden. Es gibt den wunderschönen Satz: Ein Segelboot ist im Hafen zwar am sichersten, aber nicht dafür gebaut. Soll heißen, ein Segelboot soll raus aufs Meer und segeln, auch bei Sturm und allen widrigen Wetterverhältnissen. Aber erst wenn ihr entsprechend segeln könnt, vorher wäre es ein Himmelfahrtskommando. Und um das einzuschätzen, braucht ihr den Verstand."
"Was willst du mir damit sagen?" Ich merkte Gott wollte mir etwas sagen, kam aber nicht so direkt auf den Punkt.
"Ganz einfach, wenn du dich nun mit deiner Seelenaufgabe beschäftigst, wirst du so manchen Rückschlag erleben. Das soll dich nicht entmutigen, sondern anspornen, es beim nächsten Mal besser zu machen, so wie mit deinen aufgeschlagenen Knien. Es wird meist einige Versuche, oft auch einige Leben, ich meine damit Inkarnationen benötigen, bis ihr Können und Vertrauen unter einen Hut bekommt."
"Aber irgendwann kann ich es, meinst du?"
"Irgendwann kann es jeder. Ihr habt sämtliche Werkzeuge und Warnsysteme, die ihr dafür braucht, um diese Aufgabe zu meistern. Ihr habt auch unendlich viele Versuche dafür frei", versicherte mir Gott. "Allerdings gibt es zusätzliche Hindernisse, die euch im Wege stehen können."
"Du kannst es uns auch niemals einfach machen, oder?", beschwerte ich mich lautstark.
"Denke bitte an Prämisse 2: alles hat seinen Sinn. Es gibt Gründe dafür, dass es so ist. Du wirst sie bald verstehen, sei versichert. Auf jeden Fall diese Hindernisse sind die sogenannten karmischen Verstrickungen aus früheren Leben, für die ebenfalls wieder das Ego zuständig ist. Also du siehst, es hat vielfältigste Aufgaben."
Zum besseren Verständnis möchte ich als Ivosun mit meinem heutigen Wissen diesen Begriff 'Karmische Verstrickungen' kurz erklären. Man könnte auch karmische Altlasten dazu sagen, denn es sind alte, nicht verarbeitete Erlebnisse aus vorausgegangenen Inkarnationen, die das Ego tief ins Unterbewusstsein eingegraben hat. Meist geht es um Schuld- oder Opfererfahrungen, die durch bestimmte Situationen, Worte, Geräusche, Gerüche etc. ausgelöst werden. Diese Trigger haben mit dem früheren Ereignis zu tun und sind gleichzeitig der Schlüssel zur Lösung. Solch karmische Verstrickungen stören oft heftig in unser jetziges Leben hinein, ohne dass wir eine logische Ursache dafür ausmachen können.
Wenn wir uns zum Beispiel keinen Erfolg, kein Lebens- oder Liebesglück erlauben, stehen meist Erlebnisse aus früheren Leben dahinter, für die wir uns möglicherweise bestrafen wollen. Oder wir kämpfen mit einer unerklärlichen Wut auf alles und jeden. Häufiges Scheitern bei Unternehmungen, Beziehungsunfähigkeit etc. sind Indizien für karmische Verstrickungen.
Oder wir haben all das, wonach wir im jetzigen Leben streben, in früheren Inkarnationen bereits ausgiebigst erfahren und sollen uns in diesem Leben neuen Erfahrungen widmen. Auch das ist somit etwas karmisches, weil es verhindern soll, dass wir in einer Schleife hängen bleiben, nur weil es natürlich viel einfacher und angenehmer ist, weil wir ja schon wissen, wie wir zu unserem Erfolg kommen.
Übrigens, Krebs, Missbrauch oder emotionale Vernachlässigung bei Kindern, für die es noch keine kausale Ursache aus dem jetzigen Leben geben kann, haben oft karmische Hintergründe.
"Meinst du, dass hinter meinen Erlebnissen karmische Ursachen stehen?", fragte ich Gott damals wieder mal ganz naiv, denn natürlich hätte ich mir Gottes Antwort denken können.
"Möglich, finde es heraus!", lautete die knappe Antwort.
"Super, wann kriege ich jemals eine klare Antwort von dir?", protestierte ich lautstark und wartete, ob ich eine Antwort bekäme. Nach mehreren Minuten eisigen Schweigens endlich fragte ich brav: "Okay, wie finde ich das heraus?"
"Ihr Menschen habt da ein paar tolle Techniken entwickelt, z.B. Rückführungen und Meditationen, die Palmblatt Lesungen, auch als Akasha-Readings bekannt. Dann gibt es sogenannte hellsichtige Menschen, die können dir dabei helfen und vieles mehr. Finde es selbst heraus", antwortete Gott wie aus der Pistole geschossen.
Zumindest auf solche Fragen bekam man immer sehr konkrete Antworten von Gott. Das führte mich auch gleich zur nächsten Frage: "Und was mache ich, wenn ich meine Verstrickungen herausgefunden habe? Wie löse ich sie auf?"
"Dann kommt das Zauberprogramm 'Vergebung' zur Anwendung", dozierte Gott wie ein Professor, der das große Schlussresümee einer neuen Theorie zog. "Vergeben und Verzeihen sind die Allheilmittel."
"Kann ich mir nicht gleich vergeben, wenn ich merke, dass etwas nicht passt?", fragte ich nach.
"Könntest du und es würde auch wunderbar funktionieren", bestätigte Gott meine Vermutung. "Aber viele Menschen wollen die Ursachen ihrer Probleme kennen, das macht ihnen das Vergeben leichter, denn die Vergebung muss echt sein und aus tiefstem Herzen kommen. Nur dann funktioniert es. Geheucheltes Vergeben, ohne es wirklich zu empfinden, ist nutzlos. Probiere es einfach mal aus. Mache eine Meditation und wiederhole dabei den Satz 'Ich vergebe mir, weil ich mich liebe.'"
"Warum soll ich mir vergeben, weil ich mich liebe, das verstehe ich nicht?" Diese Formulierung machte mich stutzig und wieder einmal musste ich feststellen, dass die Antwort so simpel wie logisch war.
"Man kann gegen niemanden einen Groll hegen, den man liebt. Und wenn du in die Liebe, also zurück ins Paradies willst, musst du lernen, dich zu lieben. Die Liebe ist der Schlüssel zum Paradies. Deshalb seid ihr ja hier auf der Erde, um sie zu erfahren."
"Irgendwie hört sich das so simpel an", sinnierte ich laut, "aber mir schwant, so einfach ist das nicht."
"Vor allem dann nicht, wenn ich dir folgendes sage: Sich seine Schuld zu vergeben, sofern man Täter war, das ist einfach. Doch seinen Tätern zu verzeihen, wenn ihr Opfer wart, das ist die Kunst."
"Warum sollte ich meinem Täter verzeihen? Damit habe ich, ehrlich gesagt, ein Problem", protestierte ich lautstark.
"Du solltest ihm nicht nur verzeihen, denn spirituell gesehen ist es sogar so, dass du deinem Täter danken solltest, dass er dich diese Situation hat erleben lassen."
"Danken?" Ich war entsetzt, wie kam Gott denn auf so einen abstrusen Gedanken.
Gott schmunzelte nur und sagte dann: "Erinnere dich, damit die Seele eine Opfererfahrung machen kann, braucht sie einen Täter"
"Ach … stimmt ja!", fiel es mir wieder ein, "das hast du mir seinerzeit schon erklärt: es ist nicht einfach, ein Täter zu sein. Ich weiß nur nicht mehr, warum?"
"Wenn du ein Täter bist, tust du dir viel an. Denk an all die Schuldgefühle, die du dir dabei aufhalst, das Verfolgt-, das Gefasst- und Bestraftwerden, also die öffentliche Schande... oder auch 'nur' die Angst davor. Ständig bist du in einer Anspannung, du kannst dir ja nie sicher sein, ob man dich nicht doch entdeckt. Das ist nicht für jedermann. Ein Täter hat aus spiritueller Sicht her gesehen unheimlich viel Stress auszuhalten. Seelen tun sich nicht gerne gegenseitig weh, vor allem nicht freiwillig und nicht innerhalb ihrer Seelenfamilien. Sie tun das nur aus Gefallen einem Freund gegenüber."
Als Ivosun weiß ich heute, bevor Seelen hier auf der Erde in den jeweiligen Körpern und Familien inkarnieren, verabreden sie zuvor innerhalb ihrer Seelenfamilien, welche Erfahrungen sie mit wem und in welchem Leben teilen wollen und halten das in den Akasha-Chroniken fest. Wer also eine Opfererfahrung machen möchte, braucht dazu einen freiwilligen Täter. Freiwillig deshalb, weil wie gesagt Seelen sich nicht gerne gegenseitig weh tun.
Anfangs war ich von dieser Information völlig verwirrt, weil ich dachte, das widerspräche der freien Wahl. Ich dachte damals, alles sei damit vorherbestimmt. Aber ganz im Gegenteil, es verlagert die freie Wahl sogar auf den Bereich außerhalb dieser Erde auf den Zeitpunkt und Ort, an dem wir uns entscheiden, diese Reise anzutreten.
Und auch hier auf der Erde ist es noch immer nicht klar festgelegt, wann genau und mit wem genau welches Ereignis in welchem Leben stattfinden wird. Das schreibt sich laufend neu, je nachdem wie die jeweiligen Entscheidungen der inkarnierten Seelen innerhalb ihrer Reisen und Inkarnationen dazu ausfallen. Auch hier gibt es immer noch freie Wahlmöglichkeiten. Ich weiß, das klingt alles ein wenig verwirrend, aber wie sagte Gott einst zu mir:
"Wäre es einfach, könnte es jeder!"
Der große Witz dabei ist, hat man es erst einmal verstanden, dann ist es einfach!
Zurück zu meinem Gespräch mit Gott. Wir waren im Verlaufe unseres Gesprächs, das mich wegen des Inhalts komplett von all den wunderbaren Landschaften um uns herum ablenkte, an einem ganz besonderen Ort angekommen. Er strahlte so kraftvoll, so energiegeladen und zugleich waren wir dort völlig ungestört, weil er ein paar Meter vom eigentlichen Weg abgelegen war.
Der Platz bot einerseits eine wunderschöne Aussicht, die nur ein wenig durch die vielen Bäume links und rechts eingeschränkt war. Zum anderen gab es dort eine leichte Erhöhung, einen kleinen Hügel mit einem umgefallenen Baum. Wie gesagt, dieser Platz hatte eine ganz besondere Schwingung und er lud förmlich ein, sich dort niederzusetzen und zu meditieren.
Ich wollte nun gleich einmal die Meditation des Vergebens ausprobieren, so wie Gott mir geraten hatte. Mit dieser Zusatzinformation mit den gegenseitigen Vereinbarungen, die in der Akasha Chronik niedergeschrieben waren, fiel es mir nun tatsächlich viel leichter, zu vergeben. Denn ich wusste nun, ich selbst als das Wesen Ivosun hatte einmal die Entscheidungen getroffen, diese Erfahrungen machen zu wollen.
Als ich mich in Position gesetzt und die Augen geschlossen hatte, brachte ich mich mit ein paar Atemzügen in die Ruhe und sprach mehrmals hintereinander den Satz: "Ich vergebe mir, weil ich mich liebe… ich vergebe mir, weil ich mich liebe… ich vergebe mir, weil ich mich liebe."
Es dauerte eine Weile bis ich ganz ruhig war, aber mit einem Male merkte ich, wie es mich innerlich wegzog und ich ganz in Frieden mit mir kam. Ich merkte, wie mit jedem Male Aufsagen des Satzes ein Stück Schuld und Last von mir abfiel. Ich fühlte mich leichter und leichter. Langsam fing ich an, den Satz zu variieren:
"Ich vergebe mir und all meinen Tätern, weil ich uns liebe. Ich danke allen meinen Tätern, dass sie mich die vereinbarten Erfahrungen haben machen lassen. Dass sie für mich die Last auf sich genommen haben, Täter zu sein, und mit all seinen Konsequenzen fortan leben mussten. Ich verzeihe auch mir, dass ich viele Dinge als Täter tat, die mir große emotionale Last bereiteten, mich oft sehr haben leiden lassen und meinem Herzen immer sehr weh getan haben. Ich verzeihe mir all das, weil ich mich liebe, weil ich uns liebe, unsere Seelenfamilie!"
Ich weiß nicht wie lange ich so da saß, die Tränen liefen mir in Bächen über die Wangen, es war so befreiend. Irgendwann hörte ich Gottes Stimme:
"Merkst du, wie gut das tut?"
"Ja…, das ist … toll!", stammelte ich überglücklich. "Das… mache ich jetzt täglich."
"So oft du willst. Aber jetzt müssen wir uns beeilen, die anderen suchen uns schon."
Gott packte mich am Arm und zog mich so schnell er konnte zurück auf den Pilgerweg. Dort angekommen, kamen uns auch schon Inga und Rolf entgegengerannt. Rolf erzählte ganz aufgeregt, dass Inga ihm gerade von dem Murenabgang letzte Nacht berichtet habe und dass sie einen Suchtrupp losgeschickt hätten, um nach zwei Wanderern zu suchen, die darin verschüttet worden wären.
"Jona, das ist die Lösung, ich kann endlich ein neues Leben beginnen!", strahlte er mich mit weit aufgerissenen Augen an.
Ich verstand nur Bahnhof. "Lösung wofür?", fragte ich ihn.
"Na die Lösung für mein Problem. Ich kann als Rolf sterben und endlich ein neues Leben mit einer neuen Identität anfangen. Aber du müsstest mir dabei helfen."
"Wenn es irgendwie machbar ist, helfe ich gerne", antwortete ich etwas zögerlich, denn ich wusste nicht genau, worauf ich mich da einlassen würde. "Was soll ich denn tun?"
Inga und Rolf weihten mich abwechselnd in ihren Plan ein. Sie zogen mich ganz nah an sich heran und tuschelten, so dass Gott alias Walter nichts mitbekommen sollte. Die beiden hatten folgendes vor: Sie wollten zur Mure zurücklaufen und ein paar Sachen von Rolf so in der Mure vergraben, dass es aussähe, als ob diese Dinge beim Abgang verschüttet worden seien. Sie wollten vor allem auch Rolfs Brieftasche mit seinen Ausweispapieren irgendwo darin verstecken. Natürlich würden sie vorher alles gut in Schlamm eintauchen, so dass es den Anschein habe, all die Sachen seien tatsächlich mit der Mure abgegangen und darin verschüttet worden. Alles soll so aussehen, als wäre Rolf eines der beiden Opfer. Er wusste, wenn man seine Ausweispapiere findet und ihn sonst nirgends aufstöbern könnte, dann würde er für tot erklärt werden.
Und nun käme ich, Jona, ins Spiel. Ich müsste so tun, als hätte ich die Brieftasche mit dem Ausweis darin gefunden und sollte diese dann bei einer Bergwacht oder Polizeistation abgeben. Nur so würde es sicher funktionieren, versicherte mir Rolf. Alle sollen glauben, diesmal sei er tatsächlich ums Leben gekommen. Wenn das seine alten Auftraggeber erfahren würden, dann hätte er endlich Ruhe vor deren Verfolgung und Inga und er könnten ein neues Leben beginnen. Dabei blickte Rolf zu Inga, die ihn mit verliebten Augen von der Seite her anblinzelte. Er habe alles schon von langer Hand vorbereitet und das sei nun die passende Gelegenheit, um sein Vorhaben endlich in die Tat umsetzen zu können.
"Jona, das ist ein Geschenk Gottes", strahlte auch Inga mich an. Ich späte unbemerkt zu Gott alias Walter hinüber. Der lächelte zufrieden bei diesen Worten, denn logischerweise hatte er alles gehört. Vielleicht sogar, dachte ich mir, hatte er es höchstpersönlich so eingefädelt. Was heißt vielleicht, ich war mir ganz sicher, dass er da dahinter steckte. Ich würde ihn nachher zur Rede stellen, nahm ich mir vor. Zum Glück wussten sie nicht, wer Walter tatsächlich war, sonst hätten sie vielleicht gezögert, diesen Plan vorzuschlagen.
Ich dagegen war nun plötzlich in einer Zwickmühle. Natürlich wollte ich helfen und natürlich wollte ich Rolfs und Ingas Glück nicht im Wege stehen. Aber ich wusste auch, das würde viele unangenehme Fragen und einiges an Zeitaufwand mit sich bringen. Ich müsste der Polizei und der Bergwacht die genaue Fundstelle zeigen und das wo ich doch gerade so schön alleine vor mich hin pilgern wollte. Ich wollte mich doch finden und mich um meine persönliche Entwicklung kümmern. Was hatte das alles mit meinem Paradies zu tun, fragte ich mich.
Und noch ein zweiter, sehr unangenehmer Gedanke schoss mir plötzlich durch den Kopf. Sobald Rolfs alter Arbeitgeber von der Sache Wind bekäme, würden sie mich genauestens beobachten und jedes Detail meiner Vergangenheit und meines Lebens durchleuchten wollen. Sie würden sicherlich einen Detektiv auf mich ansetzen, um zu sehen, ob nicht doch ein Kontakt zwischen mir und Rolf bestünde und wir hier einen Komplott geschmiedet hätten. Sie waren sicherlich misstrauisch und würden alles daran setzen, mich genauestens auszuspionieren.
Wollte ich das? Wollte ich, dass Fremde in meinem Leben herumschnüffelten? Irgendwie war mir der Plan nicht ganz geheuer. Gott spürte natürlich sofort meine Ängste und mischte sich in seiner Verkleidung als Walter ein. Er habe ein sehr gutes Gehör, entschuldigte er sich, und habe deswegen leider alles mitbekommen. Aber die beiden sollten keine Angst haben, denn er habe ein gutes Menschengespür und vertraue ihnen. Er spüre, dass Rolf auf der richtigen Seite stünde, egal worum es dabei ginge, und er sei überzeugt, dass Rolf beste Gründe für diese Täuschung habe.
Wie gesagt, er wisse nichts von Rolf, was bitte auch so bleiben solle, betonte er ausdrücklich – was für ein Lügner, dachte ich mir nur und musste innerlich heftig grinsen –, aber er sei selbst schon mal in einer ähnlichen Situation gewesen und deshalb wolle er nun gerne helfen. Da er selber im Ausland lebe und keinerlei Verbindungen in die Wissenschaft habe, er sei Künstler und zwar ein Maler, würde man bei einer Überprüfung seiner Person schnell alle Untersuchungen einstellen. Insofern sei das für ihn ohne Gefahr.
Erst jetzt wurde Rolf und Inga bewusst, welchen Gefallen sie einforderten. Natürlich, das bestätigte Rolf sofort, sei sein alter Auftraggeber extrem misstrauisch. Walter habe absolut recht, wenn er glaube, sie würden die Person überprüfen, die seine Papiere gefunden hätte. Sofort wollte er sein Vorhaben abblasen, er wolle keinen Unbeteiligten da mit hineinziehen, beteuerte er mehrfach. Da griff Gott zu einer Wunderwaffe: "Ich würde nicht mehr leben, hätte man mir damals nicht geholfen. Meine Freunde haben damals ihr Leben für mich riskiert. Das könnte ich hiermit wieder gut machen. Bitte tut mir den Gefallen und lasst mich euch helfen, mir können sie nichts anhaben. Glaubt mir!"
Rolf zog Inga beiseite und diskutierte längere Zeit mit ihr. Ihrer beider Körpersprache entnahm ich, dass Rolf ablehnen wollte. Inga dagegen wollte es unbedingt durchziehen und konnte ihn schließlich überreden. So kamen sie lächelnd zurück und nahmen dankend Walters Angebot an. Der zeigte sich überglücklich und hatte schon alles bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Er wies sie noch auf so manche Sache hin, die sie bedenken oder ausführen sollten, so dass die beiden schnell absolutes Vertrauen zu ihm entwickelten.
Irgendwie sah ich mich nun wieder unbeteiligt an der Seite stehen und völlig unnütz. Mit einem Male wollte ich mich auch einbringen und ein Teil des Ganzen sein. Ob ich denn vielleicht auch etwas tun könne, fragte ich schließlich in die Verschwörerrunde.
"Ja doch", antwortete Walter, "du wirst seinen Schlafsack mit all seiner DNA darin finden, wenn wir mit der Polizei und einem Suchtrupp zur Fundstelle zurückkehren. Sie werden sicherlich weiter nach anderen Sachen suchen wollen, vor allem werden sie versuchen, Rolfs Leiche zu finden. Du kannst dann als zufällig vorbeikommender Wanderer dort auftauchen und bei der Suche helfen wollen. Da brauchst du auch keine Angst haben, dass man dich überprüfen wird. Du würdest uns damit einen großen Gefallen tun, denn mit der DNA aus dem Schlafsack könnten sie eindeutig Rolfs Identität nachweisen."
Und, das fügte Rolf noch hinzu, es hätte den Vorteil, ich könnte beim Herausziehen des Schlafsacks aus dem Schlamm der Mure die Spuren des Vergrabens vertuschen. Damit wäre auch das Problem gelöst, wie sie diese Spuren verwischen sollten, denn das sei das Schwierigste, die Sachen so zu vergraben, dass es natürlich wie von der Mure mitgerissen aussehe. Ich willigte sofort ein. Das schien mir tatsächlich ungefährlich und irgendwie fühlte ich mich gut dabei. Allerdings würde mir Gott noch einige Erklärungen geben müssen, denn ich wollte wissen, warum er diese Vertuschung unterstützte. Wie passte all das in seinen göttlichen Plan?
Wir machten uns schnurstracks auf zu der Stelle mit dem Murenabgang. Dabei mussten wir alle entgegenkommenden Wanderer umgehen, damit niemand sich später an uns erinnern konnte. Den See umgingen wir komplett, denn dort herrschte reger Betrieb, viele sonnten sich, einige badeten sogar. Nach guten vier Stunden strammen Marsches kamen wir endlich zu der Stelle, an der die Mure abgegangen war.
Es war exakt die Stelle, an der Gott am Abend zuvor unser Zelt aufgebaut hatte. Es sah wie ein Schlachtfeld aus: Die Mure hatte unzählige Bäume und Äste mit sich gerissen, dicke Baumstämme ragten wie abgebrochene Zündhölzer kreuz und quer aus ihr heraus. Alles war voll schlammiger Erde und furchtbar glitschig. Wir hatten große Mühe, uns auf ihr zu bewegen, als wir nach einer passenden Stelle zum Vergraben der Sachen suchten.
Zu unserem Glück lief an einer von der Straße her uneinsehbaren Stelle ein kleiner Bach über die Mure und hinterließ ein schlammiges Rinnsal, so dass wir alles perfekt einschlammen konnten. Den Schlafsack rissen wir noch an einigen Stellen mit scharfkantigen Steinen ein, damit auch alles echt aussah. Hätte meine Mutter gesehen, wie wir all die guten Sachen verdreckten und zerfetzten, sie wäre im Boden versunken, dachte ich mir bei unserer Arbeit. Vor allem Rolfs Brieftasche hätte sie sehr geschmerzt, denn sie war von einer sehr exklusiven Marke und sicherlich sehr teuer. Es sei ein Firmenpräsent zu seinem 40. Geburtstag gewesen, erklärte er uns. Umso mehr freute er sich, dass er sie auf diese Weise endlich loswurde.
Nachdem wir die Brieftasche schön verdreckt und den Schlafsack so gut als möglich gute zweihundert Meter vom Weg entfernt verbuddelt hatten, schickten wir Walter los, damit er seinen Part übernehmen konnte. Ich wäre zu gern dabei gewesen. Mir war klar, mit welcher Überzeugung und Dramatik er seine Rolle spielen würde. Wie er sie alle im Handumdrehen überzeugt hätte und mit dem Suchtrupp am nächsten Morgen zurückkehren würde.
Mittlerweile dämmerte es schon. Rolf und Inga vergruben noch einige weitere Sachen. Ich dagegen sollte noch ein Stück weiter zurückgehen zu einer der Almhütten, dort essen und trinken und später auch übernachten, denn der Suchtrupp würde erst am nächsten Tag anrücken. Dabei sollte ich etwas auf der Hütte anstellen, dass sich möglichst viele der dort anwesenden Wanderer an mich erinnerten. Sprich ich sollte auffallen, damit ich Zeugen hatte, die bestätigen konnten, dass ich als Wanderer auf dem Pilgerweg aus der entgegengesetzten Richtung auf die Mure zuging. Der Pilgerweg verlief in Richtung Westen, also musste ich aus Osten auf die Mure stoßen.
Auch sollte ich am nächsten Morgen erst sehr spät, aber nicht zu spät losgehen, ermahnte mich Inga, denn es würde eine Weile dauern, bis Walter mit dem Suchtrupp anrücken würde. Eventuell müsste ich nochmals in einem Versteck dort warten, denn sie wollten kein Handy nutzen. Handys hinterlassen immer elektronische Spuren, ermahnte sie mich eindringlich. Ich wusste natürlich, Gott würde mir per Gedankenimpuls den richtigen Zeitpunkt zum Losgehen schicken.
Trotzdem war ich extrem aufgeregt, mein Herz pochte die ganze Zeit über wie wild und ich konnte kaum schlafen in der Nacht. Ich fühlte mich wie in einem der spannendsten Krimis, die ich je gesehen hatte. Nur diesmal war ich live dabei. Das fühlte sich ganz anders an als in einem Kinosessel oder gemütlich zuhause auf dem Sofa vor dem Fernseher.
Auf der Alm angekommen suchte ich nach einer Möglichkeit aufzufallen. Doch es herrschte eine extreme Lautstärke im Essensraum, alle waren in Gespräche oder in Karten- und sonstige Spiele vertieft. Es war nicht möglich, die Aufmerksamkeit in irgendeiner Weise auf mich zu ziehen. Vielleicht schlief ich deshalb so schlecht, auf jeden Fall wachte ich am nächsten Morgen in der allgemeinen Morgenhektik hundemüde auf. Noch schlaftrunken ging im zum Frühstücken und dabei gelang mir dann das Auffallen im wahrsten Sinnen des Wortes 'wie im Schlaf'.
Es war wieder ein wunderschöner sonniger Morgen und wie üblich auf einer Hütte, musste man sein Essen direkt innen am Tresen holen. Beim Raustragen zu einem der Tische im Freien stolperte ich dann über eine kleine Treppe hinunter, weil sich ein Trittbrett leicht gelöst hatte. Mit lautem Getöse und einer eleganten Rolle stürzte ich auf die Terrasse, das Essen lag quer über den Boden verstreut, nur die Kaffeetasse samt Inhalt hielt ich noch in der Hand. Alle Anwesenden bekamen dieses Missgeschick mit, denn sie applaudierten mir heftig für den nicht verschütteten Kaffee. Der Wirt spendierte mir sogar das Essen neu. Es sei nicht zum ersten Mal passiert, räumte er schuldbewusst ein, so hatte ich unfreiwillig meine Aufgabe mit Bravour gelöst. Das Essen zum Glück schmeckte köstlich.
Es dauerte doch fast zwei Stunden, bis sie endlich mit einem Suchtrupp von acht Mann aus dem Tal eintrafen. Wie vermutet erhielt ich zur rechten Zeit den Impuls, von der Almhütte loszugehen und traf perfekt zwei Minuten nach dem Suchtrupp an der Stelle ein. Wie verabredet bot ich meine Hilfe beim Suchen an, was sofort dankend von allen angenommen wurde. Auch sagte ich dem Trupp gleich, wo ich suchen wollte und marschierte im nächsten Moment los.
Zum Glück, alle waren doch sehr aufgeregt, widersprach niemand meinem Vorschlag. Ich ließ mir ein wenig Zeit und nach gut zwanzig Minuten rief ich dann laut: "Ich hab was!", und zog mit diesen Worten den Schlafsack zur Hälfte aus dem Schlamm. Genau so weit, dass die Spuren des Vergrabens verwischt waren und niemand Verdacht schöpfen konnte. Der Plan ging perfekt auf.
So viel darf ich vorwegnehmen, Rolf wurde ein paar Monate später für tot erklärt und konnte somit sein neues Leben beginnen. Das erfuhr ich aber alles erst viel später, denn Rolf und Inga tauchten wie besprochen erst einmal lange komplett unter. Irgendwann erhielt ich einen Brief von den beiden an die Adresse meiner Eltern, die ich ihnen zum Glück noch gegeben hatte. Die Briefmarke darauf war von einem bekannten Urlaubsort, aber ich war sicher, Rolf hatte den Brief jemanden gegeben, der ihn dann von diesem Ort absenden sollte, damit niemand ihre Spur zurückverfolgen konnte.
Inga und er seien glücklich und sie konnten endlich in Frieden leben an einem wunderschönen Ort, wo das Wasser nicht ganz so kalt sei, wie an dem See, an dem wir uns getroffen hatten, schrieb Rolf mit einem Smiley dahinter. Sie bedankten sich nochmals für meine Hilfe und, falls ich zu Walter noch Kontakt habe, sollte ich auch ihm herzlichst für seinen tollen Einsatz danken. Ich freute mich sehr über den Brief und es machte mich stolz, daran beteiligt gewesen zu sein, obwohl ich ja kaum etwas dazu beigetragen hatte. Den Hauptpart hatte ja Walter, mein Gott, übernommen und darüber wollte ich ihn noch ausführlich ausquetschen, warum er da so eingegriffen hatte.